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20190430-GUELLE

Agrargipfel: »Schuld« hat mal wieder der Verbraucher

Berlin. (eb) Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel und Bundesministerin Julia Klöckner haben in dieser Woche rund 40 landwirtschaftliche Verbände zu einem dreistündigen Gespräch im Kanzleramt getroffen, um sich über die aktuelle Lage der Landwirtschaft auszutauschen. Die Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Agrarbranche und Wertschätzung ihrer Arbeit standen dabei im Mittelpunkt. Auch die Frage, wie die gesellschaftlichen Ansprüche besser verknüpft werden können mit der landwirtschaftlichen Praxis im Stall und auf dem Feld. Kurzum: Die wahren Ursachen der fehlgeleiteten Agrarpolitik und fehlentwickelten Landwirtschaft wurden nicht angesprochen. »Schuld« hat mal wieder der Verbraucher.

Alles bleibt wie es ist, oder?

Es sieht so aus, als bliebe alles beim Alten. Darüber hinaus wird der Bock zum Gärtner befördert: Ausgerechnet der Deutsche Bauernverband und das Aktionsbündnis «Land schafft Verbindung» sollen «in Gesprächen mit den vielen unterschiedlichen Interessenvertretungen der konventionellen und ökologischen Landwirtschaft um ein Verhandlungsmandat für die gesamte landwirtschaftliche Branche werben». Mit anderen Worten: Wie in vielen anderen Lebensbereichen auch, fehlt hier der Wille zu konsequenten Veränderungen. Die geplante Vorgehensweise ist so angelegt, dass sich die Profiteure vom Hier und Jetzt kaum von ihren Töpfen werden trennen müssen. Alles bleibt wie es ist.

»Schuld« hat mal wieder der Verbraucher

Den oder die Schuldigen für die Flurschäden, welche die fehlgeleitete Agrarpolitik und fehlentwickelte Landwirtschaft bis heute hinterlassen haben und weiter hinterlassen werden, hat man natürlich auch schon ausgemacht: «der Verbraucher». Oder anders herum: Wer als Konsument ein nachvollziehbares, faires Preis-Leistungs-Verhältnis einfordert, soll sich künftig gefälligst schuldig fühlen. Das ist übrigens der gleiche Konsument, der die Landwirtschaft ohnehin schon per Anno mit 141,00 Euro pro Kopf und Jahr unterstützt.

Zukunftsfähige Modelle müssen sich abseits der Idylle durchsetzen

Wo die politische Gestaltungskraft fehlt, werden Worst-Case-Szenarien wahrscheinlicher. Mit Blick auf die zunehmenden Klimaveränderungen ist das besonders heikel, weil wir heute schon wissen, dass die konventionelle Landwirtschaft die gesamte Weltbevölkerung in spätestens 50 Jahren nicht mehr wird ernähren können. Es ist keine Frage, ob das stimmt oder nicht. Es bleibt nur noch zu prüfen, wann dieser Fall eintritt.

Die un-konventionelle Agrarwirtschaft, besonders Vertical Farming, wird sich abseits der Blühstreifen-Romantik andere Wege suchen müssen. Auch wenn sie hierzulande erstaunlich wenig Beachtung erfährt, gehört ihr doch definitiv die Zukunft. Statt früh genug eigene Konzepte zu entwickeln, werden wir dann eben Lizenznehmer von Global Playern, die irgendwo in Europa oder am anderen Ende der Welt sitzen. So ganz unbekannt ist uns das schließlich auch nicht – im aktuellen Informationszeitalter.

Der Dialog bleibt in tradierten Denkmustern gefangen

Zurück zur Einleitung dieses Beitrags, die im wesentlichen identisch ist mit der Pressemitteilung aus dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL). Damit informiert das Ministerium über den «Landwirtschaftsdialog» gemeinsam mit 40 Verbandsvertretern. Die Mitteilung im Wortlaut:

Landwirtschaftsdialog im Kanzleramt: Gesellschaft und Landwirtschaft wieder näher zusammenbringen – Zukunftskommission Landwirtschaft soll eingerichtet werden – Gespräche mit dem Handel über Lebensmittelpreise angekündigt

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel und Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner haben am Montag rund 40 landwirtschaftliche Verbände zu einem dreistündigen Gespräch im Kanzleramt getroffen, um sich über die aktuelle Lage der Landwirtschaft auszutauschen. Die Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Agrarbranche und Wertschätzung ihrer Arbeit standen dabei im Mittelpunkt. Auch die Frage, wie die gesellschaftlichen Ansprüche besser verknüpft werden können mit der landwirtschaftlichen Praxis im Stall und auf dem Feld.

Beide Politikerinnen betonten, dass die Bundesregierung die Verantwortung wahrnehme, den politischen Rahmen entsprechend zu gestalten, sie unterstrichen aber auch, dass nicht alle externen Rahmenbedingungen – europäische Vorgaben, Gerichtsurteile – an alle Wünsche angepasst werden könnten. Daher werde der Dialog zwischen der Landwirtschaft und der Gesellschaft eine zentralere Rolle spielen müssen. Denn die Bauern seien unverzichtbar. Sie würden von der ganzen Gesellschaft gebraucht, für die Lebensmittelversorgung, die Pflege und Erhaltung der Kulturlandschaft, für lebenswerte Dörfer und ländliche Regionen. Dafür müssten Sie auch entsprechend entlohnt werden

Die Zukunftsfähigkeit der Landwirtschaft in Deutschland hänge eng mit der gesellschaftlichen Akzeptanz ihrer Wirtschaftsweise zusammen. Immerhin bewirtschafte sie mehr als die Hälfte der Fläche des Landes. Deshalb müssten an vielen Stellen gemeinsam Lösungen gefunden werden:

  • zur Sicherung der Ernten und Nahrungsmittelproduktion
  • zum Erhalt der Biodiversität,
  • beim Insektenschutz,
  • beim verbesserten Schutz des Grundwassers sowie
  • bei wachsenden gesellschaftlichen Ansprüchen im Hinblick auf das Tierwohl und den Umwelt-, Natur- und Klimaschutz.

Die Landwirtschaft müsse sich – so wie alle Wirtschaftszweige – immer weiterentwickeln und auf veränderte Rahmenbedingungen einstellen. Voraussetzung für eine ökonomisch tragfähige Weiterentwicklung seien dabei Planungs- und Rechtssicherheit. Einigkeit herrschte, dass es Transparenz braucht, dass der Verbraucher die Arbeit der Bauern verstehen muss. Das sei eine große Chance, um wieder mehr Vertrauen in die Landwirtschaft zu erreichen.

Das heutige Gespräch habe hierfür viele wichtige Impulse und Anregungen gegeben, es solle nicht der Schlusspunkt, sondern der Auftakt sein.

Bundesministerin Julia Klöckner: «Wir wollen, dass Landwirtschaft in Deutschland eine gute Zukunft hat. Damit die vielen hoch motivierten jungen Menschen in den Landwirtschaftsschulen oder Agrar-Universitäten sich auch noch in zwanzig oder fünfzig Jahren für die Arbeit auf dem Feld und im Stall begeistern können. Wir sollten uns ehrlich über notwendige Veränderungen austauschen. Gleichzeitig müssen wir aber auch darüber diskutieren, wie die Gesellschaft die Leistungen der Landwirtschaft besser honorieren kann. Damit Landwirtschaft und Gesellschaft respektvoll und wertschätzend miteinander umgehen. Die Bundesregierung wird die Branche bei den anstehenden Veränderungen unterstützen. Der in der vergangenen Woche verabschiedete Rekordhaushalt ist dafür ein deutliches Zeichen.»

Folgende Gesprächsergebnisse wurden festgehalten:

  1. Einrichtung einer «Zukunftskommission Landwirtschaft», die unter Einbindung von Praktikern, Wissenschaftlern und gesellschaftlichen Akteuren, praxistaugliche Wege für eine produktive und ressourcenschonende Landwirtschaft aufzeigen wird. Der Deutsche Bauernverband und das Aktionsbündnis «Land schafft Verbindung» sollen in Gesprächen mit den vielen unterschiedlichen Interessenvertretungen der konventionellen und ökologischen Landwirtschaft um ein Verhandlungsmandat für die gesamte landwirtschaftliche Branche werben.
  2. Im Herbst 2020 wird es ein weiteres Treffen der heutigen Runde im Bundeskanzleramt geben, um bis dahin erreichte Ergebnisse und Fortschritte sowie weiteren Handlungsbedarf zu besprechen.
  3. Es wird ein Treffen der Bundeskanzlerin und Bundesministerin Julia Klöckner mit dem Handel im Bundeskanzleramt geben: Lebensmittel zu Tiefstpreisen haben Auswirkungen auf die Bauernfamilien und die Wertschätzung. Wenn etwa Fleisch zu Centpreisen und als Lockangebot beworben werde, sind viele nicht mehr bereit, mehr zu bezahlen. Mehr Tierwohl aber kostet auch mehr Geld.
  4. Start eines nationalen Dialogforums zur Landwirtschaft durch das Bundesministerium sowie einer Informationskampagne zur besseren gegenseitigen Wertschätzung. In landesweit stattfindenden Veranstaltungen soll ein Beitrag zur Aufklärung und für Verständnis über die wichtige Arbeit der Landwirte geleistet werden. Die Veranstaltungen werden mit der Grünen Woche im Januar beginnen und an verschiedenen Orten in Deutschland stattfinden.
  5. Zum Umbau der Tierhaltung muss die Finanzierungsfrage beantwortet werden. Dazu erarbeitet eine Kommission unter Leitung des früheren Bundeslandwirtschaftsministers Jochen Borchert im Auftrag des Bundeslandwirtschaftsministeriums Vorschläge. Die Ergebnisse werden in der ersten Jahreshälfte 2020 vorgestellt.
  6. Das BMEL wird noch dieses Jahr eine Ackerbaustrategie vorlegen, die Lösungswege für bestehende Zielkonflikte zwischen Ertragssicherung und Umwelt- und Klimaschutz aufzeigt.
  7. Landwirtschaftsministerium und Umweltministerium werden gemeinsam zu einem Runden Tisch «Landwirtschaft und Insektenschutz» einladen – die Bauernschaft wird bei den weiteren Schritten wirkungsvoll beteiligt.
  8. Eins-zu-eins-Umsetzung der UTP-Richtlinie gegen unlautere Handelspraktiken, Stärkung der landwirtschaftliche Erzeuger und Lieferanten gegenüber dem Handel.
  9. Auf funktionierende Umweltprogramme soll aufgebaut werden. Kooperationsmodelle wie in den Niederlanden oder die Ausweitung der nachhaltigen FRANZ-Projekte werden geprüft. Ebenso Konzepte, die die Branche vorlegt, um Insekten- und Biodiversitätsschutz und Landbewirtschaftung weiter zu verzahnen.
  10. Rechtliche Hindernisse für mehr Tierwohl werden angegangen (Baugesetzbuch, TA Luft).
  11. Die Ratifizierung des Mercosur-Abkommens durch alle Mitgliedstaaten der EU soll wesentlich davon abhängen, dass alle Parteien sich im Geiste des Abkommens verhalten. Die verbindlichen Regeln zu Arbeit, Umwelt und Klima müssen erkennbar eingehalten werden.
  12. Zugehen auf die Kultusministerkonferenz – Schulbücher und Lehrmaterialien sollten die Realität der Landwirtschaft abbilden (Foto: pixabay.com).
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