Berlin. (bk / bve) Lebensmittel aus dem 3D-Drucker, intelligente Verpackungen zur Überprüfung der Haltbarkeit und die digitale Rückverfolgung der Produkte vom Teller bis zum Acker – bereits in zehn Jahren wird sich die Lebensmittelindustrie radikal verändern. Das ist das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage unter mehr als 300 Unternehmen der Ernährungsindustrie im Auftrag des Digitalverbands Bitkom und der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE). Demnach prognostizieren zwei Drittel der Unternehmen (68 Prozent) eine hundertprozentige Rückverfolgbarkeit bis zum Warenursprung dank digitaler Technologien wie Big Data oder Blockchain. Auch Lebensmittel in der Losgröße 1, also individuell für den Verbraucher produziert, sehen zwei Drittel (65 Prozent) als verbreitetes Szenario im Jahr 2030. Knapp jedes zweite Unternehmen meint, dass der Verbraucher mittels intelligenter Lebensmittelverpackungen die Haltbarkeit überprüfen kann (46 Prozent). «Die Ernährungsindustrie ist bereits heute technologisch topaktuell aufgestellt», sagt Bitkom-Hauptgeschäftsführer Dr. Bernhard Rohleder. «Mit Robotik, Big Data oder Blockchain wird die Branche nicht nur ihre Geschäftsprozesse weiter optimieren, sie steht vor einer echten Revolution.» Christoph Minhoff, Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE): «Die Digitalisierung in der Lebensmittelproduktion wird nicht bei der Landwirtschaft aufhören, denn sie bringt für Unternehmen der ganzen Produktions- und Verarbeitungskette und auch für die Verbraucher ganz neue Dimensionen mit sich, etwa in Sachen Lebensmittelsicherheit. Wichtig ist nun, dass digitale Prozesse vom Acker bis zum Teller verzahnt werden. Das bringt den größten Nutzen für unsere Unternehmen, die gesamte Kette und den Verbraucher.»
84 Prozent sehen Digitalisierung als Chance
Sieben von zehn Unternehmen (70 Prozent) sehen aktuell die Digitalisierung als große Herausforderung für die Ernährungsindustrie. Hohe Lohn- und steigende Produktionskosten (76 oder 74 Prozent), der zunehmende Marktwettbewerb (76 Prozent), steigende Verbrauchererwartungen und der Fachkräftemangel (je 73 Prozent) werden noch häufiger genannt.
Der Umfrage zufolge schätzt die große Mehrheit der Ernährungsindustrie (84 Prozent) die Digitalisierung zwar als Chance ein, allerdings sehen die Unternehmen noch große Hürden auf dem Weg dorthin. Beinahe neun von zehn Unternehmen (88 Prozent) meinen etwa, dass der Fachkräftemangel ein Hemmnis bei der Digitalisierung ist. Nur knapp drei von zehn Unternehmen (29 Prozent) haben ein eigenes Team, das sich ausschließlich mit Digitalisierung beschäftigt, einen Chief Digital Officer haben lediglich 3 Prozent der Unternehmen. 80 Prozent sehen die hohen Investitionskosten als Bremsklotz, 77 Prozent die mangelnde Praxisreife der Technologien und sieben von zehn Unternehmen (70 Prozent) die Gefahr der Spionage von Betriebsdaten. Minhoff: «Die Unternehmen sind bereit, in Digitalisierung zu investieren. Es fehlt aber an Fachkräften, um die digitale Transformation aktiv zu gestalten. Diesen Mangel gilt es zu beheben.»
Digitalisierung führt zu mehr Qualität und Nachhaltigkeit
Denn die große Mehrheit sieht eine Vielzahl von Vorteilen durch digitale Technologien in der Ernährungsindustrie. Beinahe jedes Unternehmen (98 Prozent) erwartet durch die Digitalisierung verbesserte Prozesse und höhere Produktionseffizienz. Jeweils 9 von 10 prognostizieren eine verbesserte Qualität von Produkten und mehr Nachhaltigkeit (93 Prozent) sowie mehr Transparenz in den Prozessen (90 Prozent). Mehr als 8 von 10 denken, dass der Hersteller durch Digitalisierung näher an den Verbraucher rückt (81 Prozent) und eine flexiblere Arbeitsorganisation möglich wird (76 Prozent). Ein weiterer Vorteil ist den befragten Unternehmen zufolge die höhere Individualität von Produkten und Services (66 Prozent).
Ernährungsindustrie setzt auf große Bandbreite von Technologien
Immerhin sechs von zehn Unternehmen (60 Prozent) verfolgen bereits heute eine Strategie zur Bewältigung des digitalen Wandels und eine große Mehrheit der Unternehmen setzt auch schon digitale Technologien ein. Zwei von drei Unternehmen (66 Prozent) nutzen digitale Lösungen, jedes Vierte (25 Prozent) plant konkret den Einsatz und weitere 5 Prozent diskutieren ihn. Besonders häufig kommt Cloud Computing zum Einsatz (47 Prozent) oder ist in Planung (15 Prozent). Ebenfalls weit verbreitet sind Roboter (Einsatz: 38 Prozent, Planung: 27 Prozent) und Big Data (Einsatz: 22 Prozent, Planung: 13 Prozent). IoT in der Fabrik gibt es bei 18 Prozent der Unternehmen, 14 Prozent planen dies. Künstliche Intelligenz (8 Prozent) und Blockchain (3 Prozent) kommen dagegen bislang kaum zum Einsatz. Nur 15 oder 4 Prozent der Unternehmen bereiten die Nutzung vor. «Viele Unternehmen der Ernährungsindustrie haben sich schon auf den Weg gemacht und sind offen für den digitalen Wandel. Wenn man die Zukunftsszenarien mit dem heutigen Einsatz und den konkreten Planungen vergleicht, wird aber deutlich, dass Vieles noch Zukunftsmusik ist», mahnt Rohleder. «Wer damit rechnet, dass Technologien wie Künstliche Intelligenz und Blockchain bereits in zehn Jahren die Ernährungsindustrie bestimmen werden, der muss dafür heute die Weichen stellen.»
Klarer Rechtsrahmen und besserer Breitbandausbau gefordert
Gebraucht wird dafür aber auch die Politik: So fordern 95 Prozent der Unternehmen einen klaren Rechtsrahmen für Datensicherheit und 93 Prozent einen besseren Breitbandausbau. Auch ein praxistauglicher Datenschutz (90 Prozent) und Fördermittel für Aus- und Weiterbildung von Mitarbeitern (81 Prozent) stehen ganz oben auf der Wunschliste an die Politik. Minhoff: «Nur durch eine digitale Strategie kann die Lebensmittelproduktion am Standort Deutschland angesichts steigender Anforderungen auch langfristig international wettbewerbsfähig bleiben und die steigenden Anforderungen der Verbraucher an Transparenz und Qualität erfüllen.» Es müsse nun darum gehen, das entsprechende Know-how ins eigene Unternehmen zu bekommen und dort zu halten. «Unternehmen, die heute auf digitale Technologien wie Künstliche Intelligenz oder Blockchain setzen oder damit zumindest experimentieren, können sich einen deutlichen Vorteil gegenüber ihren Wettbewerbern erarbeiten», resümiert Rohleder (Foto: pixabay.com).
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