Montag, 7. Oktober 2024
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Gegen Verschwendung: Politik schließt Pakt mit dem Lebensmittelhandel

Berlin. (bmel) Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) schließt mit 14 Unternehmen des Groß- und Einzelhandels eine Vereinbarung zur Reduzierung von Lebensmittelabfällen ab. Darin verpflichten sich die unterzeichnenden Unternehmen auf konkrete Reduktionsziele und verpflichtende Maßnahmen zur Reduzierung – sowohl im eigenen Unternehmen als auch an den Schnittstellen zu den vor- und nachgelagerten Bereichen der Lebensmittelversorgungskette.

Die Vereinbarung tritt ab dem Zeitpunkt der Unterzeichnung in Kraft und gilt bis zum 31. Dezember 2031. Die Umsetzung der Zielvereinbarung, besonders die Zielerreichung wird durch das Thünen-Institut für Marktanalyse als unabhängige Einrichtung im Geschäftsbereich des BMEL begleitet und überprüft.

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Vereinbarung zwischen BMEL und Unternehmen des Groß- und Einzelhandels

1. Verpflichtung der Unternehmen auf konkrete Reduzierungsziele:
Die unterzeichnenden Unternehmen des Groß- und Einzelhandels verpflichten sich mit der vorliegenden Vereinbarung, die Lebensmittelabfälle in ihrem Unternehmen umfassend zu reduzieren: um 30 Prozent bis 2025 und um 50 Prozent bis 2030. Damit nehmen die Unternehmen die Zielsetzungen aus der Agenda 2031 als für sich selbst verbindlich und verpflichtend an.

2. Pflicht zur Kooperation zwecks Weitergabe von Lebensmitteln:
Schon heute spenden viele Unternehmen ihre überschüssigen Lebensmittel. Die unterzeichnenden Unternehmen verpflichten sich, die Weitergabe noch verzehrfähiger Lebensmittel auszubauen.

90 Prozent der Geschäftsstandorte des unterzeichnenden Unternehmens gehen, vergleichbar mit der «Spendenverpflichtung» in Frankreich, mindestens eine feste Kooperation mit einer entsprechenden Empfängerorganisation ein.

Verzehrfähige Lebensmittel sollen primär an soziale Einrichtungen wie die Tafeln gespendet werden. Die Weitergabe an andere Empfängerorganisationen, zum Beispiel an Vermittlerplattformen oder an die eigenen Mitarbeiter, ist ebenfalls möglich. Die Standorte können mit entsprechendem Logo ihre Kooperationen kenntlich machen.

3. Konkretisierung der Pflichten nach Kreislaufwirtschaftsgesetz für Lebensmittel:
Die Vereinbarung konkretisiert die Vorschriften des Kreislaufwirtschaftsgesetzes (Obhutspflicht, Abfallhierarchie) mit Blick auf Lebensmittel. Oberstes Ziel ist die Vermeidung von Lebensmittelabfällen.

Die Vereinbarung schreibt fest, dass Lebensmittel nicht durch aktives Handeln gezielt für den Verzehr unbrauchbar gemacht werden dürfen. Die Unternehmen verpflichten sich außerdem, Lebensmittel, die nicht mehr für den menschlichen Verzehr bestimmt oder geeignet sind, einer möglichst hochwertigen Verwendung oder Verwertung zuzuführen (zum Beispiel aufbereitet als Tierfutter).

4. Konkrete Maßnahmen zur Reduzierung von Überschüssen – auch an den Schnittstellen:
Die Unternehmen verpflichten sich zu spezifischen Maßnahmen hinsichtlich Mehrmengen und Retouren, damit innerhalb der Lebensmittelversorgungskette anfallende Überschüsse reduziert werden.

Im unternehmensinternen Bereich gibt es Maßnahmen wie die Verpflichtung, geeignete Schulungsmaßnahmen für relevantes Personal durchzuführen. Andere Maßnahmen adressieren die Beziehungen zu Lieferanten und Verbrauchern (Beispiel: der Verkauf von Obst- und Gemüse mit Schönheitsfehlern, Maßnahmen der Verbrauchersensibilisierung) und damit die Schnittstellen beim Ein- und Verkauf. Damit leisten die Unternehmen auch einen Beitrag zur Reduzierung von Lebensmittelabfällen und -verlusten in den anderen Sektoren.

Der Maßnahmenkatalog der Vereinbarung umfasst ferner Maßnahmen zur Optimierung der Prozess-, Logistik- und Kühlkette, zum preisreduzierten Abverkauf von Waren nahe dem Mindesthaltbarkeitsdatum sowie Maßnahmen zur Unterstützung der Weitergabe überschüssiger Lebensmittel (Beispiel: Investitionen in die Logistik der Tafeln, Verwendung digitaler Tools zur Erleichterung des Spendenprozesses).

5. Umsetzung der Vereinbarung – transparent und verbindlich:
Mit Unterzeichnung verpflichten sich die Unternehmen, unmittelbar tätig zu werden. Über die Einhaltung der ergriffenen Maßnahmen legen sie Rechenschaft ab. Zu diesem Zweck ist ein jährliches öffentliches Reporting der Unternehmen in einem einheitlichen Format vorgesehen, dass Transparenz und Vergleichbarkeit herstellen und die verbindliche Umsetzung der Verpflichtungen gewährleisten soll.

Die Rechenschaftslegung wird durch das Thünen-Institut für Marktanalyse (TI) als unabhängige wissenschaftliche Einrichtung im Geschäftsbereich des BMEL überprüft. Das TI bewertet die Umsetzung der Zielvereinbarung unter Berücksichtigung weiterer, vertraulich gelieferter Unternehmensdaten und fasst die Auswertung in einem Monitoringbericht zusammen. Diese jährlichen Berichte werden der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

In Umsetzung des Paktes gegen Lebensmittelverschwendung soll der Austausch des BMEL mit den Handelsunternehmen fortgeführt werden, besonders mit Blick auf die Arbeit an sektorübergreifenden Schnittstellen. Im Austausch mit den betroffenen Ressorts (Bundesministerium der Justiz, Bundesministerium der Finanzen) und den für den Vollzug des Lebensmittelrechts zuständigen Ländern werden haftungs- und steuerrechtliche Spielräume ausgelotet sowie Regelungen, die der Vermeidung von Lebensmittelabfällen gegebenenfalls entgegenstehen, überprüft. Die Akteure sollen durch praxistaugliche Handreichungen unterstützt werden (Beispiel: Leitfaden zur Weitergabe von Lebensmitteln).

6. Unterzeichnende des Paktes gegen Lebensmittelverschwendung:
Das BMEL hat die Vereinbarung am 27. Juni 2023 mit folgenden Unternehmen des Lebensmittelgroß- und Einzelhandels unterzeichnet: Aldi Einkauf SE+Co.OHG, Aldi Süd Dienstleistungs-SE+Co.OHG, Chefs Culinar West GmbH+Co.KG, Niederlassung Wöllstein, Edeka Zentrale Stiftung + Co.KG, Hellofresh Deutschland SE+Co.KG, Kaufland Dienstleistung + Co.KG, Lidl Dienstleistung GmbH+Co.KG, Metro Deutschland GmbH, Netto Marken-Discount Stiftung + Co.KG, Norma Lebensmittelfilialbetrieb Stiftung + Co.KG, Penny Markt GmbH, Rewe Markt GmbH, Tegut Gute Lebensmittel GmbH+Co.KG, Transgourmet Deutschland GmbH+Co.OHG. Weitere Unternehmen können sich der Vereinbarung zu einer späteren Zeit anschließen. Als unterstützender Verband zeichnet der Bundesverband des Deutschen Lebensmittelhandels (BvLh).


Nachtrag: An den guten Absichten gibt es keine Zweifel

«Die Unternehmen im Lebensmittel-Einzelhandel haben sehr viel Einfluss – sowohl auf die Produktionsbedingungen als auch auf das Konsumverhalten. Daraus erwachsen Handlungschancen und auch Verantwortung. Einige Unternehmen gehen hier schon voran und haben sich zum Beispiel ambitionierte Ziele für Klima- und Waldschutz gesetzt. Das Potenzial ist aber noch lange nicht ausgeschöpft: die Nachhaltigkeitsstrategien der Konzerne sind bis jetzt nur unzureichend verankert. So wird zwar viel von Umweltschutz und Nachhaltigkeit gesprochen, aber im Einkauf der Produkte, bei Preisgestaltung oder Werbung zum Beispiel sehen wir oft das Gegenteil. Hier ist auch die Politik gefragt: Sie muss Rahmenbedingungen schaffen, damit aktiver und konsequenter Umweltschutz zum Wettbewerbsvorteil für die Unternehmen wird.»

Das sagte Dirk Messner, Präsident des Umweltbundesamts (UBA) im September 2022 anlässlich der Vorstellung einer Studie zum Thema «Nachhaltigkeit im Supermarkt: Der Handel schöpft sein Potenzial nicht aus». Die Studie empfiehlt den Lebensmittelhändlern, ihr Management in Sachen Nachhaltigkeit insgesamt systematischer zu gestalten: Dazu sollten durchweg überprüfbare Ziele zur ökologischen ⁠Nachhaltigkeit⁠ gesetzt werden, in bessere Daten investiert sowie das Management der nachhaltigen Maßnahmen stärker mit Geschäftsführung, Einkauf und Warengruppenmanagement verknüpft werden. Auch die Politik sei gefragt, sagte Messner. Die jetzt vorgestellte «Vereinbarung zwischen BMEL und Unternehmen des Groß- und Einzelhandels» ist offensichtlich eine Antwort.

Ihre Wirksamkeit wird zu gegebener Zeit zu prüfen sein. Es wäre also müßig, die Vereinbarung schon jetzt als «stumpfes Schwert» zu bezeichnen, das zu kurz greife. Den Teil der Wertschöpfungskette außen vor zu lassen, der vom Acker über das verarbeitende Gewerbe den Lebensmittelhandel erst beliefert, zeugt nicht von Unverständnis. Die Erwartungen wären nur mal wieder zu hoch gesteckt, wollte/sollte eine Vereinbarung alle Probleme dieser Welt auf einmal lösen müssen. Misserfolg und Frustration wären vorprogrammiert. Wie es jetzt ist, ist es gut und lässt sich regelmäßig prüfen und anpassen. An den guten Absichten aller Beteiligten gibt es jedenfalls keine Zweifel (Foto: BMEL).