Dienstag, 19. März 2024
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Hochschule Bremerhaven: Was steckt drin in meiner Wurst?

Bremerhaven. (hs) Was ist drin in meinem Essen? Mit dieser Frage beschäftigen sich immer mehr Verbraucherinnen und Verbraucher beim Lebensmitteleinkauf. Informationen dazu finden sie direkt auf den jeweiligen Verpackungen. Dass und wie Inhaltsstoffe gekennzeichnet werden müssen, ist gesetzlich geregelt. Aber lässt sich auch mit Sicherheit sagen, ob alle Hersteller sich daran halten?

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Und ließe sich speziell in stark verarbeiteten Lebensmitteln überhaupt nachweisen, woraus sie bestehen? Mit diesen Fragen hat sich Prof. Dr. rer. nat. Stefan Wittke im Rahmen einer Studie beschäftigt. Seit knapp zwei Jahren arbeitet der Leiter des Labors für marine Biotechnologie an der Hochschule Bremerhaven in Kooperation mit der GfL Gesellschaft für Lebensmittel-Forschung mbH an einer Methode, mit der sich Separatorenfleisch in Wurstwaren mit hoher Wahrscheinlichkeit nachweisen lässt. Dafür wertete er gemeinsam mit seinem Team insgesamt über 500 verschiedene Gewebe- und Wurstproben sowie zusätzlich mehr als vierzig Wurstproben unterschiedlicher Hersteller in einer verblindeten Studie aus.

Bei Separatorenfleisch handelt es sich um Fleischreste, die maschinell vom Knochen gelöst werden. Durch die Art der Herstellung lässt sich nicht verhindern, dass darin auch Bandscheiben- und Knorpelbestandteile enthalten sind. Genau diese Zusammensetzung hilft dabei, den Anteil an Separatorenfleisch nachzuweisen «Wir haben eine Methode entwickelt, mit der wir mittels Massenspektrometrie (LC-MS/MS) das für Bandscheibe und Knorpel typische Kollagen 2 alpha 1 in der Wurst nachweisen können. Dadurch lässt sich – mit hoher Wahrscheinlichkeit – darauf schließen, ob Separatorenfleisch in der Ware ist. In unseren Analysen konnten wir 41 unserer 42 Proben korrekt klassifizieren.» Nur wenn der Anteil sehr gering ist, sei ein Nachweis erschwert.

Dass sich Separatorenfleisch in Wurst befindet, ist nicht verboten. Da es sich dabei allerdings nicht um Muskelfleisch handelt, muss es als Zutat auf der Verpackung aufgeführt ein. Nur so können die Verbraucherinnen und Verbraucher nachvollziehen, wie hoch der reine Fleischanteil tatsächlich ist und ob in der Wurstmasse der Fleischanteil durch günstigere Zutaten ausgetauscht wurde.

Ob sich alle Hersteller wirklich an die Kennzeichnungspflicht halten, lässt sich mit der neuen Methode überprüfen. «Wir bewerten nicht, ob die Verwendung von Separatorenfleisch gut oder schlecht ist. Uns ist aber wichtig, dass die Deklarationspflichten erfüllt werden. Es muss auf der Verpackung stehen, was wirklich in der Ware enthalten ist. Nur so können die Verbraucherinnen und Verbraucher bewusst entscheiden, ob sie die Wurst kaufen möchten, auch wenn sie nur wenig Muskelfleisch enthält.»

Die neuartige Nachweismethode ist inzwischen publiziert und in der Patentierung. Die Studie der Bremerhavener Wissenschaftler wurde vor der Veröffentlichung einem strengen Reviewprozess durch das Journal «Food Analytical Methods» vom Nature-Springer Verlag unterzogen. Prof. Wittke und sein Team wollen nun an weiteren Methoden zum Nachweis von proteinbasierten Inhaltsstoffen arbeiten.

Gefördert wird ihr Forschungsprojekt von der Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschungsvereinigungen «Otto von Guericke» e.V. (AiF) sowie mit Mitteln des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK): Zentrales Innovationsprogramm Mittelstand (ZIM), Projekttyp: Kooperationsprojekte (KK), Förderkennzeichen: KK5125601BM0 (Foto: HS Bremerhaven).


Nachtrag: Wir halten der Hochschule Bremerhaven zugute, dass sie sorgfältigst 500 verschiedene Gewebe- und Wurstproben testete sowie zusätzlich mehr als vierzig Wurstproben unterschiedlicher Hersteller in einer verblindeten Studie. Bei allem kommt sie ohne die Nennung von Herstellern und Markennamen aus. Ausdrücklich weist die Hochschule darauf hin, dass sie die Verwendung von Separatorenfleisch nicht bewertet. Das soll die Lebensmittelüberwachung tun, sofern die überhaupt Kapazitäten dafür hat.
 
Uns erinnert das an eine Posse von 2018, als Mitarbeitende des ZDF-Politmagazins «Frontal 21» eine spezielle Wurst erzeugen ließen aus neun Prozent Fleisch, 27 Prozent Wasser und 46 Prozent Separatorenfleisch. Die Deutsche Landwirtschafts- Gesellschaft (DLG) hatte das Machwerk unglücklicherweise noch mit einer DLG-Medaille in Silber geehrt – siehe «Gepanschte Wurst erhält DLG-Medaille in Silber» vom 12. April 2018 sowie «DLG verschärft Qualitätsprüfungen» vom 23. April 2018. Doch was genau hat die DLG 2018 verschärft, wenn es die neuartige Nachweismethode noch gar nicht gab? Was genau steckt drin in der Wurst?
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