Hofheim-Wallau. (eb) Als das schwedische Möbelhaus Ikea 1974 nach Deutschland kam, hat es viele junge Menschen gerettet. Denn wer angesichts der unvermeidlichen Pril-Blume an bundesdeutschen Kachelwänden aufwuchs, der hatte es schwer. Die Bundesrepublik war noch auf dem Weg zu sich selbst. Bundespräsident Walter Scheel «Hoch auf dem gelben Wagen» bei Wim Toelke. Was für ein Jahrzehnt zwischen Schlaghosen, Koteletten und schweren Eichenmöbeln.
In diesem Kontext waren die neuen Möbel nicht nur Möbel, sondern auch Stellungnahme. Signale der inneren Befreiung, die sich zwischen Gegensätzen und Phänomenen ihren Weg suchten. Unzählige Geschichten ranken sich seither um das Möbelhaus, eng verbunden mit Imbusschlüsseln und Köttbullar.
Das Geschäftsjahr 2019 schloss Ikea Deutschland übrigens mit einem Einzelhandels-Umsatz von 5,278 Milliarden Euro ab – plus 5,5 Prozent gegenüber 2018. Der Online-Umsatz legte um 33,2 Prozent auf 494 Millionen Euro zu. Der Online-Anteil am Gesamtumsatz wuchs um zwei Prozent auf 9,4 Prozent. Der Ikea Foodservice, dazu gehören auch Köttbullar, steigerte seinen Umsatz um 4,5 Prozent auf 250 Millionen Euro.
Die Fleischbällchen sind das beliebteste Gericht in den Restaurants des Möbelhauses. Rund um den Globus werden jedes Jahr über eine Milliarde Stück davon verkauft. Einerseits ist das selbstverständlich eine Erfolgsgeschichte für sich. Andererseits reift in uns die Erkenntnis, dass sich – unter anderem auch – an gut einer Milliarde Köttbullar dringend etwas ändern muss, wollen wir unseren Kindern einen einigermaßen lebenswerten Planeten hinterlassen.
Das wissen auch die Schweden. Deshalb verkaufen sie mit dem Plantbullar jetzt eine komplett pflanzliche Variante ihres Klassikers. Damit reduziert sich der ökologische Fußabdruck beträchtlich. Laut Mitteilung aus Hofheim-Wallau sinkt die Belastung der zur Verfügung stehenden Ressoucen um satte 96 Prozent.
«Mit der Entwicklung einer pflanzenbasierten Alternative zum klassischen Fleischbällchen unterstreichen wir einmal mehr unsere Bemühungen, auch als Anbieter von Lebensmitteln nachhaltiger zu werden. Gleichzeitig bieten wir unseren Kunden mit dem neuen pflanzlichen Bällchen ein Produkt, das geschmacklich selbst überzeugte Fleischesser ansprechen wird», sagt Dennis Balslev, Geschäftsführer und Chief Sustainability Officer bei Ikea Deutschland.
Ziel ist, mit dem Angebot der pflanzlichen Bällchen den Absatz der Fleischbällchen zu reduzieren. Dabei müsse kein Ikea-Kunde auf das gewohnte Köttbullar-Erlebnis verzichten. Das pflanzliche Bällchen soll einfach die leckere und nachhaltigere Alternative für alle sein – egal ob Fleischesser, Flexitarier, Vegetarier oder Veganer. Die Produktion von Plantbullar kommt komplett ohne tierische Inhaltsstoffe aus und setzt stattdessen auf eine Kombination von Erbsenprotein, Hafer, Äpfeln und Kartoffeln.
«In der Entwicklung war unser Ziel, den fleischigen Geschmack und die Konsistenz des Originals nachzubilden, doch komplett auf pflanzlicher Basis. Wir haben diverse Inhaltsstoffe getestet und es schließlich geschafft, eine Variante zu entwickeln, mit der wir keine Kompromisse in Sachen Geschmack und Konsistenz eingehen», sagt Koch und Projektleiter Alexander Magnusson von Ikea Food.
So schafft es Ikea Deutschland vielleicht ein zweites Mal, uns zu retten. Diesmal geht es darum, den übermäßigen Fleischkonsum zu reduzieren. Darum, uns vor uns selbst zu retten. Basisarbeit für eine lebenswerte Zukunft. Dafür werden die Ikea-Restaurants, sofern sie mit Blick auf Covid-19 wieder geöffnet haben, Ihre Plantbullar-Gerichte sogar zu einem niedrigeren Preis anbieten als die traditionelle Variante – noch dazu mit identischen Beilagen. Wenn das keine Ansage ist (Fotos: Ikea).
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