Freitag, 29. März 2024
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«Jetzt weiß ich Bescheid»: Bundesakademie zeigte Möglichkeiten zur Beschäftigung von Flüchtlingen

Weinheim. (adb) Flüchtlinge als Arbeitskräfte für Bäckereien, so lautete der Titel einer sehr gut gefüllten Veranstaltung der Bundesakademie Weinheim, zu der trotz einem für die Branche recht ungünstigen Termin am Martinstag 67 Teilnehmer/innen aus dem gesamten Bundesgebiet ins Weinheimer Waldschloss angereist waren. Sämtliche Postleitzahl-Gebiete waren in der Teilnehmerliste vertreten, von namhaften Handwerksbetrieben über die Geschäftsführer der Verbände des Bäckerhandwerks bis hin zu Entscheidungsträgern aus Großbäckereien.

Entscheidungen müssen überlegt sein

20151113-ADB-01«Bein Einsatz von Flüchtlingen herrscht derzeit leider Wild West», stellte Akademie-Direktor Bernd Kütscher zur Eröffnung fest. «Manche legen einfach los, bieten Flüchtlingen ein Praktikum oder einen Ausbildungsplatz an und scheitern an menschlichen, organisatorischen oder rechtlichen Hürden». So hätten Bäckereien bereits Geldbußen in fünfstelliger Höhe wegen illegaler Beschäftigung zahlen müssen. Kütscher erläuterte anschließend die Hintergründe der Flüchtlingskrise, präsentierte aktuelle Zahlen und wies auf die Chancen hin, die hieraus entstehen. Denn «jede Veränderung birgt Risiken und Chancen». Bäckereien suchen händeringend Arbeitskräfte. Zugleich suchen Flüchtlinge eine Möglichkeit, um zu arbeiten und sich hier ein neues Leben aufzubauen. Dies zusammen zu bringen und interessierten Bäckereien Orientierung zu verschaffen, war erklärtes Ziel der Veranstaltung.

Integration kann gelingen

20151113-ADB-02Dass Integration durchaus gelingen kann, zeigen erste erfolgreiche Beispiele aus der Praxis. Im Seminar war dies Thomas Hug aus Lampertheim, der in seiner Bäckerei bereits drei Asylanten beschäftigt und in Kürze einen vierten einstellt: «Die Flüchtlinge sind für mich wertvolle Arbeitskräfte und nicht mehr wegzudenken». Er brachte seinen Mitarbeiter Mehrtab Afaha-Berhe aus Eritrea mit, der letztes Jahr als Bootsflüchtling über das Mittelmeer geflohen ist. Eritrea ist von der Welt ähnlich abgeschottet wie Nordkorea, und die Diktatur dort offenbar auch ähnlich brutal. Obwohl Mehrtab erst vor 15 Monaten nach Deutschland kam, konnte er den Teilnehmern seine Erfahrungen in der Bäckerei Hug bereits in deutscher Sprache schildern. Nach der aktuellen Beschäftigung als Bäckerhelfer möchte er dort nächstes Jahr eine reguläre Ausbildung zum Bäcker beginnen.

Alle Flüchtlinge wollen arbeiten

Helmut Kleinsteuber, verantwortlicher ehrenamtlicher Flüchtlingshelfer für die Region, beleuchtete anschließend sehr anschaulich die aktuelle Situation der Betroffenen. Wichtige Erkenntnis für die Branche: «Alle Flüchtlinge wollen arbeiten». Er zeigte anhand von Beispielen, wie das gestaltet werden kann und gab wertvolle Tipps. Zwischen den Zeilen war zudem deutlich heraus zu hören, dass die Krise ohne die vielen ehrenamtlichen Helfer nicht zu meistern wäre. Diese dienen oft auch als Bindeglied zwischen Betrieben, Behörden und Flüchtlingen. Kleinsteuber hatte seinerzeit auch Mehrtab an die Hand genommen und an die Bäckerei Hug vermittelt.

Welche rechtlichen Spielregeln sind zu beachten?

20151113-ADB-03Bleibt die Frage, ob man Flüchtlinge so einfach beschäftigen darf. «Hierbei gilt es rechtliche Spielregeln zu beachten», mahnte Dr. Friedemann Berg vom Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks im Seminar. Sehr anschaulich informierte er über die genaue rechtliche Gestaltung einer Ausbildung oder Beschäftigung von Flüchtlingen. Demnach gibt es wesentliche Unterschiede zwischen anerkannten, gestatteten und geduldeten Flüchtlingen. Anerkannte Flüchtlinge dürfen arbeiten und können ganz normal eingestellt werden, bei anderen bedarf es noch gewisser Wartezeiten und einer Zustimmung der Ausländerbehörde. Sein Tipp: «Lassen Sie sich immer die Papiere zeigen, auf denen der Status vermerkt ist. Beachten Sie etwaige Befristungen. Und suchen Sie sich Unterstützung, etwa bei der örtlichen Arbeitsagentur oder bei der Handwerkskammer. Auch der Zentralverband und die Landesinnungsverbände helfen Ihnen gerne».

Die Tücke steckt manchmal im Detail

Zum Abschluss berichtete Michael Rothe von der Bäckerinnung Hamburg sehr anschaulich von seinen Praxiserfahrungen mit der Ausbildung von Flüchtlingen, angefangen von anfänglichen Befindlichkeiten und Ängsten der anderen Mitarbeiter bis zu Problemen bei der monatlichen Auszahlung der Ausbildungsvergütung: «Sie müssen unbar überweisen, doch ohne deutschen Pass und Wohnsitz gibt es für den Flüchtling kein Konto. Außer bei der Sparkasse, die müssen das. Haken Sie nach!»

Am Ende der Nachmittags-Veranstaltung am 11. November brachten viele Teilnehmer ihre Zufriedenheit zum Ausdruck und merkten an, dass diese ihnen sehr weitergeholfen habe. Zitat eines Teilnehmers: «Ich hatte echt keine Ahnung, jetzt weiß ich Bescheid».

Info-Seminar wird wiederholt

Aufgrund der Dringlichkeit des Themas und der großen Nachfrage wird das Flüchtlingsseminar der Bundesakademie Weinheim am 02. Dezember nachmittags an der ADB Bäckerfachschule in Hannover wiederholt. Das Seminar ist für Teilnehmer kostenfrei. Die Anmeldung kann direkt bei der Bäckerfachschule Hannover oder auch in Weinheim per E-Mail an info@akademie-weinheim.de erfolgen (Fotos: ADB Weinheim).

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