Berlin. (bve) «Die Ernährungsindustrie ist ein wesentlicher Stabilitätsfaktor der ländlichen Räume. Sie ermöglicht außerdem der städtischen Bevölkerung eine unbegrenzte Anzahl von persönlichen Lebensstilen. Die Ernährungsindustrie ist damit einer der wichtigsten Säulen einer modernen, offenen Gesellschaft. Mit Sorge betrachten wir die politischen und gesellschaftlichen Debatten, in denen dieser Fakt nicht angemessen berücksichtigt wird. Wenn zum Beispiel ein Grünbuch die Leitlinien für die künftige Ernährungspolitik vorgibt, die Ernährungsindustrie darin aber nicht vorkommt, dann ist das enttäuschend», sagt Christoph Minhoff, Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE).
«Es ist lebenswert, gut und wichtig, dass sich der Staat für eine bessere Ernährungsbildung und wissenschaftsbasierte Verbraucher-Aufklärung einsetzt, Forschung fördert und eine ökonomisch wie ökologisch nachhaltige Rohwarenerzeugung unterstützt. Was jedoch fehlt, ist eine Strategie, um die wesentliche Wertschöpfung sowie die gut 600.000 Arbeitsplätze in der Ernährungsindustrie am Standort Deutschland im immer härter werdenden Wettbewerb zu sichern. Verbraucher und Unternehmen brauchen verlässliche, nachvollziehbare und maßvolle Rahmenbedingungen, um verantwortungsbewusst Kauf- oder Investitionsentscheidungen treffen zu können».
Positive Bilanz: Steigerung von Umsatz und Export in 2016
Für das Jahr 2016 zieht die deutsche Ernährungsindustrie eine positive Bilanz: Nach ersten Schätzungen konnte der Umsatz im Vorjahresvergleich um 2 Prozent auf 172 Milliarden Euro gesteigert werden. Dabei handelte es sich vor allem um ein Mengenwachstum, denn durch die gesunkenen Verkaufspreise fiel hier das Plus von 2,6 Prozent noch einmal deutlich höher aus. Besonders im Exportgeschäft hatte sich der Preiswettbewerb 2016 verschärft, den Unternehmen gelang es jedoch, kaufkräftige neue Märkte – insbesondere in Asien – zu erschließen. Die Lebensmittelexporte erreichten 2016 ein neues Rekordhoch von geschätzt 56,6 Milliarden Euro, ein Zuwachs von 3,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahr 2015. Nach zwei Jahren der Stagnation konnte 2016 erstmalig auch wieder ein Umsatzplus im Heimatmarkt Deutschland von voraussichtlich 1,4 Prozent verbucht werden. Der sich abzeichnende Konjunkturaufschwung in 2016 wirkte auch positiv auf die Lebensmittelproduktion, der saison- und kalenderbereinigte Produktionsindex stieg um 1,4 Prozent. Gleichzeitig konnte die Beschäftigung um geschätzte 11.000 Arbeitsplätze ausgebaut werden.
Lebensmittelhersteller blicken verhalten optimistisch auf 2017
Zu einer Konjunkturprognose für 2017 äußern sich Unternehmen der Ernährungsindustrie in einer aktuellen BVE-Umfrage verhalten optimistisch. Besser als im Vorjahr fallen für 2017 die Umsatzerwartungen aus: Sowohl im In- als auch im Auslandsgeschäft erwarten 60 Prozent der Befragten höhere Umsätze. Dieser Optimismus überträgt sich jedoch nicht in gleichem Maße auf die Gewinnprognose, hier erwarten nur 25 Prozent eine Verbesserung. Über die Hälfte der Umfrageteilnehmer erzielte in den vergangenen drei Jahren nur eine Renditequote von eins bis zwei Prozent oder weniger. Der Wettbewerb bleibt hart: 93 Prozent glauben daran, dass Kostensteigerungen nur bedingt an den Handel weitergereicht werden können. Die Mehrheit geht davon aus, dass die Verkaufspreise 2017 gleich bleiben. Dennoch wird die Zahl der Beschäftigten nach Meinung von drei Viertel der Teilnehmer nicht sinken. Gut 41 Prozent plant sogar mehr Investitionen als im Vorjahr.
Qualitätsaspekte für Verbraucher entscheidend, doch nicht um jeden Preis
Die deutsche Ernährungsindustrie sorgt für Sicherheit, Qualität, Vielfalt, Bezahlbarkeit und Nachhaltigkeit bei Lebensmitteln. Im heimischen Ernährungswohlstand sind Genuss und Gesundheit sowie globale Verantwortung dank einer fortschrittlichen und wettbewerbsfähigen, aber auch komplexen Lebensmittelproduktion möglich. Immer häufiger sind Qualitätsaspekte bei Lebensmitteln für den Verbraucher kaufentscheidend. Die Kunden setzen hier allerdings ganz individuelle Maßstäbe, der Kauf von Bio- oder Fair trade-Produkten ist noch lange nicht selbstverständlich. Wichtig bleiben auch bei hochwertigen Qualitätslebensmitteln vor allem ein wettbewerbsfähiger Preis und genügend Auswahl. Eine aktuelle Verbraucherumfrage von PricewaterhouseCoopers (PwC) belegt, dass bei der Hälfte der Deutschen überwiegend konventionell erzeugte Waren im Einkaufskorb landen. Nur jeder Siebte kauft mehr Bio- als konventionelle Produkte. Jeder Fünfte kauft gar keine Bio-Produkte. Während vom Bio-Kauf vor allem ein gesundheitlicher Vorteil erwartet wird, begründen die Verbraucher den Griff zu konventionellen Produkten vor allem mit einem günstigeren Preis und einer größeren Auswahl. «Die Verbraucher erwarten von Lebensmitteln mehr Qualität und Nachhaltigkeit, aber zum gleichen Preis», kommentiert Minhoff die Studienergebnisse.
Informationsbedürfnis der Verbraucher wächst: Kundendialog nimmt zu
Die Informationsdichte zu Herkunft, Produktionsmethoden und Nachhaltigkeitsaktivitäten in der Branche nimmt dementsprechend zu. Lebensmittelhersteller sind daher herausgefordert, nicht nur nachfragegerechte, sondern auch den Informationsbedürfnissen entsprechende Produkte zu entwickeln. Die Mehrheit der Unternehmen erwartet für 2017 ein zunehmendes Informationsbedürfnis der Verbraucher. Die Unternehmen nehmen die Bedürfnisse der Verbraucher ernst und treten verstärkt mit ihnen in einen direkten Austausch. Eine Umfrage von BVE und AFC in der Branche zeigt, dass 90 Prozent der Unternehmen eine Zunahme der Verbraucheranfragen feststellen. Eine wichtige Rolle im Kundendialog spielen bereits heute, vor allem aber auch in der Zukunft das Internet und die Social-Media-Kanäle. Pro Tag erhalten 51 Prozent der Unternehmen zwischen ein und zehn Anfragen, 14 Prozent sogar mehr als 50. Knapp 40 Prozent der Lebensmittelhersteller beantworten Kundenanfragen innerhalb von 24 Stunden, 56 Prozent innerhalb von drei Tagen. Die häufigsten Fragen erreichen Unternehmen zu Qualitätsunterschieden, Kennzeichnung und Verpackung. In Zukunft erwartet die Mehrzahl der Unternehmen vermehrt Fragen zum Thema «Nachhaltigkeit».
«Die Lebensmittelhersteller nehmen die Verbraucherinteressen ernst und schaffen sowohl in Bezug auf ihre Produkte als auch Produktprozesse immer mehr Transparenz. Gerade das Thema Nachhaltigkeit wird in Zukunft noch mehr Aufmerksamkeit bekommen. Die Ernährungsindustrie leistet hier mit ihrer Transparenzinitiative auch 2017 einen wichtigen Beitrag», so das Fazit Minhoffs.
Für mehr Kommunikation mit dem Verbraucher engagieren sich darüber hinaus die Spitzenverbände BVE und BLL auch im Rahmen ihrer Standpräsenz auf der Internationalen Grünen Woche in diesem Jahr. Unter dem Motto «Dialog Lebensmittel» klären sie Verbraucher interaktiv über Lebensmittel und ihre Produktionswege auf. Im Fokus stehen die Themen «Lebensmittelverschwendung» und «Mindesthaltbarkeitsdatum», zu denen die beiden Verbände interessierten Verbrauchern Rede und Antwort stehen werden.
Wahljahr 2017: BVE formuliert klare Forderungen
Die Unternehmen der Ernährungsindustrie benötigen ein branchengerechtes Marktumfeld, das Planungssicherheit, Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit fördert. Für einen fairen Wettbewerb braucht es dabei auch gebildete und selbstverantwortliche Verbraucher. Die Rahmenbedingungen für Unternehmen und Verbraucher bestimmt der Gesetzgeber. Angesichts der anstehenden Bundestagswahl 2017 befürchten die Lebensmittelhersteller mehrheitlich einen zunehmenden Regulierungsdruck auf die Branche. Die BVE hat daher frühzeitig ihre Forderungen an die Politik formuliert:
Der Ernährungsindustrie muss in Politik und Gesellschaft deutlich mehr Aufmerksamkeit als Wertschöpfungsfaktor eingeräumt werden. Alle Politikvorhaben müssen hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit der Branche geprüft werden. Maßnahmen, die eine Konsumlenkung zum Ziel haben, den Verbraucher bevormunden oder den Unternehmen neue und aufwändige Kennzeichnungs- und Informationspflichten oder Produktanpassungen ohne erkennbaren Mehrwert für die Verbraucher auferlegen, lehnt die BVE ab. Gleiches gilt für Steuer- oder Abgabenerhöhungen bei Lebensmitteln. Den mittelständischen Strukturen der Branche ist vonseiten der Politik Rechnung zu tragen. So muss der Wettbewerb insbesondere gegenüber dem konzentrierten Einzelhandel fair gestaltet, das Auslandsgeschäft als Ertragsstütze gefördert, die Verfügbarkeit bezahlbarer Energie und Rohstoffe gesichert und die Innovationsfähigkeit unterstützt werden. Als drittgrößter Arbeitgeber der gesamten deutschen Industrie sind die Lebensmittelproduzenten auf qualifizierte Arbeitskräfte angewiesen. Um ihren Beschäftigten Perspektiven bieten zu können, ist eine branchengerechte Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik sowie eine praxisorientierte Bildungspolitik unerlässlich. Schließlich fordert die Branche eine auf allen Politikebenen kohärente und abgestimmte Nachhaltigkeitspolitik, die die Unterstützung von freiwilligem unternehmerischem Engagement und eine verhältnismäßige staatliche Regulierung im Fokus hat. Viele Unternehmen der Ernährungsindustrie sind durch ihr freiwilliges Nachhaltigkeitsengagement bereits Vorbild. Diese Erfolgsbeispiele gilt es gemeinsam mit Politik und Gesellschaft zu fördern (Tabelle: BVE 2017 – Foto: pixabay.com).
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