Freitag, 29. März 2024
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Mühlenindustrie: globale Branche mit lokalen Anforderungen

Hamburg. (mc) Die weltweite Mühlenindustrie steht vor großen Herausforderungen. Das Bevölkerungswachstum, steigender Wohlstand, Klimawandel oder die globalisierte Wirtschaft nehmen großen Einfluss auf die Herstellung von Mehl, dem wichtigsten Grundnahrungsmittel der Menschen. Um die Chancen und Perspektiven dieser sich wandelnden Branche ging es auf dem Fachsymposium, zu dem Anfang September die Ahrensburger Mühlenchemie unter dem Motto «Future of Flour – Economic, Functional + Nutritional Aspects» eingeladen hatte.

310 Besucher aus 60 Ländern diskutierten über die aktuellen Anforderungen bei der Herstellung von Mehl heute und morgen. Insgesamt 28 Fachvorträge von Wissenschaftlern, Ökonomen, Praktikern und Repräsentanten öffentlicher Einrichtungen gaben den Teilnehmern wertvolle Impulse. Neueste Forschungsergebnisse und Anwendungsbeispiele wurden präsentiert zu den Leitthemen «The Future of Wheat», «Emerging Asian Wheat Producers», «Milling», «Flour Fortification», «Science + Technology», «Baking» und «Ingredients».

Globalisierte Rahmenbedingungen

Einen Überblick über die veränderten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der weltweiten Getreidemärkte gab Dirk Jan Kennes, Global Strategist for Farm Inputs, Food + Agribusiness Research and Advisory von der Rabobank aus Utrecht. Zweistelliges Wachstum des BIP in den Schwellenländern und politische Förderung von Biokraftstoffen haben die Nachfrage nach Getreide und Ölsaaten stark vorangetrieben. Dies erfordere eine deutliche Steigerung der Produktivität. Weil dies aus seiner Sicht allerdings mindestens ein Jahrzehnt benötige, erwartet Kennes weiter relativ hohen Getreidepreise und deutlich höhere Kursschwankungen.

Klimawandel und Ernährung

Welche Auswirkungen der Klimawandel auf Weizen hat, verdeutlichte Dr. Remy Manderscheid, Associate Director Institute of Biodiversity, Johann Heinrich vom Thunen-Institute (vTI) Braunschweig anhand aktueller Studien seines Instituts. Demnach ist die atmosphärische CO2-Konzentration aufgrund anthropogener Aktivitäten von einem vorindustriellen Niveau bis heute von 280 ppm (Teilchen pro Million) auf 385 ppm gestiegen. Es wird erwartet, dass sie etwa 550 ppm bis Mitte dieses Jahrhunderts erreicht. Diese Änderung in der Atmosphärenchemie führe zu einem Anstieg der Temperatur und einem Rückgang der Sommerniederschläge in Mitteleuropa. Diese neuen klimatischen Bedingungen haben einen hohen Einfluss auf Ertrag und Qualität von Weizen, weil CO2 der Schlüsselnährstoff für das Pflanzenwachstum darstellt. Zwar führe die höher CO2-Konzentration im Schnitt zu einem erhöhten Kornertrag von zwölf Prozent. Im Gegenzug nehme die Rohprotein-Anteil um zehn Prozent ab. Dies bedeute für heutige Züchtungen, dass der Anstieg der atmosphärischen CO2-Konzentration zwar einem verbesserten Kornertrag, aber gleichzeitig zu einer schlechteren Kornqualität führe.

Da der Klimawandel nicht nur die Flora, sondern auch die Fauna verändert, stellte Prof. Dr. M. Hikmet Boyaciodlu, Group R+D Coordinator + Cereal Food Institute Director Doruk Group Holding (Istanbul, Türkei) vor, welchen Einfluss Insektenbefall auf Weizenqualität nimmt. Seit vielen Jahrzehnten führt der durch Insekten beschädigte Weizen im Nahen Osten, Zentral- und Osteuropa, Mittlerer Osten und Nordafrika zu hohen wirtschaftlichen Verlusten. In seinem Vortrag schilderte er die geographische Verbreitung und die wirtschaftliche Bedeutung von dem als Sunn-Pest oder Korn-Pest bekannten Befall von Eurygaster intergriceps und Aelia rostrata. Boyaciodlu legte dar, welche Auswirkungen dies auf die Backqualität der Getreide nimmt. Weiter beschrieb er Methoden für die Vorhersage von Schäden und Studien über die Qualität des beschädigten Weizens und wie sich Mehle trotz Schädlingsbefall verbessern lassen.

Verantwortung für die Gesundheit

Einen wichtigen Bestandteil des Symposiums nahm die Anreicherung von Mehl ein. Einen Überblick über den weltweiten Status der Flour Fortification gab Scott Montgomery, Director der Flour Fortification Initiative, Atlanta, USA. Demnach nimmt die Anreicherung von Mehl mit lebenswichtigen Vitaminen und Mineralien weltweit weiter zu. Es ist ein effizientes Mittel zur Bereitstellung zusätzliche Nährstoffe, die Menschen über ihre Grundnahrungsmittel wie Brot, Nudeln und Pasta zu sich nehmen können. Über 60 Regierungen lassen bereits mindestens eine Sorte Mehl anreichern. Zum Beispiel können mit der Zugabe von Eisen einer reduzierter Produktivität und verringerten geistigen Entwicklung bei Kindern entgegengewirkt werden. Eine unzureichende Versorgung von Folsäure führt zu einem erhöhten Risiko für Spina bifida. Diese angeborene Fehlbildung des Rückenmarks ist die häufigste Form einem Neural Tube Defekt (NTD). NTDs gehören zu den häufigsten Fehlbildungen und tragen erheblich zur perinatalen Sterblichkeit bei. Dass diese vor allem auch aus wirtschaftlicher Sicht am besten durch die Anreicherung von Weizen- und Maismehl verhindert werden kann, belegte Lieven Bauwens von der Internationalen Föderation für Spina Bifida und Hydrocephalus, der globalen Dachorganisation für nationale und regionale Verbände von Menschen mit Spina Bifida und Hydrocephalus. Obwohl die eigentlichen Ursachen von Neuralrohrdefekten nicht vollständig verstanden sind, sei es mittlerweile allgemein bekannt, dass Folsäure der Schlüssel bei der Prävention von Neuralrohrdefekten im Allgemeinen und Spina Bifida im Besonderen ist. Unter allen verschiedenen Strategien, um den perinatale Folsäure-Status von Frauen im gebärfähigen Alter zu verbessern, habe sich keine als so effizient und kosteneffektiv wie die Anreicherung von Grundnahrungsmitteln erwiesen.

Lokale Herausforderungen für ein globales Grundnahrungsmittel

Großes Interesse unter den Teilnehmern riefen auch die Vorträge hervor, die die unterschiedlichen lokalen Begebenheiten der weltweiten Mühlenindustrie behandelten. Wang Chun E., Technology Director Flour Business Wilmar – Yihai Kerry Investments Co. Limited, Shenzhen, China gab einen umfassenden Überblick über die Vielschichtigkeit des chinesischen Back- und Mehlmarkts und seiner dynamischen Entwicklung. Als Faktoren nannte sie die sich stark wandelnden Verzehrsgewohnheiten oder die große Bandbreite an Lebensmitteln wie klassische chinesische Dampfnudeln oder neue Formen wie Tiefkühlkost. Müller müssten sich der rasant wachsenden Nachfrage unterschiedlichster Vertriebsformen, steigenden Qualitätsanforderungen wie zum Beispiel Farbe oder Aschegehalt des Mehls stellen, aber auch die zunehmende Anforderungen an die Lebensmittelsicherheit berücksichtigen. Trotz der Vielschichtigkeit des Marktes nehme die Konzentration bei der Mehlherstellung zu, da nur so eine kritische Größe erreicht werden könne, um alle Anforderungen an das Produkt zu erfüllen.

Einen Einblick in die Welt der afrikanischen Mehlindustrie gab F. Babatunde Odunayo, Vice Chairman Honeywell Flour Mills Limited, aus Nigeria. Er sieht für die Mühlenindustrie in dem bevölkerungsreichsten Land Afrikas gute Perspektiven. Schwierige Rahmenbedingungen müssten aber durch viel Energie und Kreativität kompensiert werden. Als Nicht-Weizenproduzent ist Nigeria der drittgrößte Importeur von Weizen in Afrika, vor allem aus den USA und Kanada. So ist das Wirtschaften nigerianischer Müller untrennbar mit schwankenden Weizenpreisen verknüpft. Bei steigenden Rohstoffkosten werden die Endprodukte unbezahlbar, was zu einem Rückgang der Nachfrage und rückläufigen Markt führe. Die Mehlbehandlung und Mehlstandardisierung spielt dadurch in Nigeria eine immer wichtigere Rolle, weil dem Weizenmehl im größten Maniok produzierenden Land häufig auch Mehl dieser Pflanze beigemischt wird.

Die Müllerei müsse sich auf eine Vertriebsstruktur mit vielen kleinen, unabhängigen Bäckereien einstellen. Für Honeywell Flour Mills stellen diese kleinen Verkaufsstellen 90 Prozent der Kunden dar. In dieser Zielgruppe kommen noch viele landestypische und lokale Verfahren zum Einsatz, wie zum Beispiel das Kneten des Teiges per Hand. Auch der Transport von Rohstoffen und Fertigprodukten stellt für die Unternehmen bei einem schlecht ausgebauten Straßennetz und geringen Investitionen in neue Fahrzeuge vor Herausforderungen.

Mit einem Dschungel verglich Glória Parente die Behandlung von Mehl und den Backprozess in Brasilien. Die Direktorin der Wheat Chain Division bei Globalfood in São Paulo erläuterte, dass auch in Brasilien die lokale Produktion von Weizen nicht ausreiche, um die gesamte Nachfrage zu erfüllen. Der Import aus verschiedenen Ländern ist eine Schlüsselaufgabe für die Mühlenindustrie. Die Variabilität des Weizens unterschiedlicher Herkunft führe dabei zu deutlichen Qualitätsschwankungen. Mit dem Ziel Kosten zu optimieren, sind die Müller permanent auf der Suche nach Möglichkeiten, eingeführte Weizen so zu mischen, ohne dass dabei die Mehlqualität abnimmt. Neben Kosten, Verfügbarkeit von Rohstoffen und der Produktion werden in Brasilien auch die Produktspezifikationen strenger. Auch häufig tropische Raumtemperaturen bis zu 32° Celsius und 75 Prozent relative Luftfeuchtigkeit bieten ein Umfeld, das eine permanente Veränderung der Mehl-Korrektur-Systeme erfordert. All dies führt in Brasilien zu der Notwendigkeit von technologischen Lösungen wie den Einsatz von Zusatzstoffen und Zutaten.

Lennart Kutschinski, Geschäftsführer der Mühlenchemie mit Sitz in Ahrensburg bei Hamburg und Initiator des Symposiums, zog eine positive Bilanz des dreitägigen Treffens: «Die Redner des Symposiums haben uns deutlich und eindrucksvoll gezeigt, welch große Verantwortung auf die Mühlenindustrie in unserer Welt heutzutage zukommt. Mit dem Erfahrungsaustausch und Wissenstransfer wollen wir dazu beitragen, dass die Müller diesen Herausforderungen in der täglichen Arbeit gerecht werden können» (Quelle: Mühlenchemie).

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