Freitag, 29. März 2024
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Studie: Weltweite Insolvenzen steigen 2023 auf Vorkrisenniveau

Hamburg. (all) Die wirtschaftlichen Herausforderungen für Unternehmen sind aktuell vielfältiger denn je. Sie müssen viele Bälle gleichzeitig in der Luft halten mit der Energiekrise, der drohenden Rezession, hohen Preissteigerungen und steigenden Zinsen. Gestörte Lieferketten setzen die Cashflows von Unternehmen zusätzlich unter Druck. In der Folge steigen auch die Insolvenzen wieder deutlich. Zu diesem Schluss kommt der weltweit führende Kreditversicherer Allianz Trade in seiner jüngsten Insolvenzstudie. Die Experten gehen von einem Anstieg der weltweiten Pleiten um 10 Prozent im laufenden Jahr und 19 Prozent in 2023 aus. In Deutschland dürfte der Anstieg mit 5 Prozent in 2022 und weiteren 17 Prozent in 2023 auf dann 17.150 Fälle im Vergleich etwas moderater ausfallen – und von niedrigem Niveau kommend.

Dennoch belasten die Entwicklung sowie die damit verbundenen Unsicherheiten auch die hiesigen Unternehmen. Dabei wirken die aktuellen staatlichen Unterstützungsmaßnahmen bereits als Puffer: Sie bremsen den Anstieg der Insolvenzen 2022 und 2023 in Europa und Deutschland erheblich; Europa verzeichnet dadurch rund 10 Prozentpunkte (pp) weniger Pleiten, in Deutschland sind es sogar minus 12pp. Das sind umgerechnet 2.600 deutsche Unternehmen, die dadurch vor der Pleite gerettet werden. Sollte sich die Energiekrise noch weiter verschärfen und die Rezession stärker ausfallen als bisher erwartet, reichen die aktuellen Maßnahmen zum Abfedern einer Pleitewelle allerdings nicht aus und es könnten deutlich mehr Insolvenzen drohen. Das Insolvenzgeschehen bleibt also nach wie vor volatil und stark von der weiteren Entwicklung staatlicher Unterstützung abhängig.

Prognose für Deutschland

Für Deutschland erwartet Allianz Trade, dass die Insolvenzen unter dem Niveau von 2019 bleiben werden, trotz eines Anstiegs im Jahr 2023, der plus 17 Prozent gegenüber dem Vorjahr erreichen würde, das heißt plus 2.450 Unternehmen auf 17.150 Fälle. Der Kreditversicherer geht davon aus, dass die Regierung es vermeiden wird, nicht lebensfähige Unternehmen zu unterstützen, doch der massive «200-Milliarden-Euro-Wirtschaftsschirm» wird die Auswirkungen der Energiekrise auf die Unternehmen begrenzen. Darüber hinaus erwartet der Kreditversicherer, dass die Regierung weiterhin bereit ist, gezielt zu handeln, wie sie es zur Rettung einiger der am stärksten betroffenen Versorgungsunternehmen getan hat, unter anderem durch zusätzliche vorübergehende Anpassungen der Restrukturierungs- und Insolvenzgesetze und durch die vorübergehende Aussetzung der Insolvenzantragspflicht, wäre dies erforderlich – etwa im Fall größerer zusätzlicher Probleme bei den Lieferketten im verarbeitenden Gewerbe.

Zurück auf Vorkrisenniveau: Zunächst Normalisierung des Insolvenzgeschehens

«Angesichts der zahlreichen aktuellen Herausforderungen ist es keine Überraschung, dass Insolvenzen wieder deutlich anziehen. Es handelt sich hierbei allerdings zunächst um eine sukzessive Normalisierung des Insolvenzgeschehens,» sagt Milo Bogaerts, CEO von Allianz Trade in der Region D-A-CH.

«2023 dürften die weltweiten Insolvenzen in etwa das Niveau von vor der Pandemie erreichen. Deutschland zeigt sich im internationalen Vergleich robust, auch wenn die aktuellen Herausforderungen nicht spurlos an der hiesigen Wirtschaft vorbei gehen: Auch in Deutschland zeichnet sich erstmals wieder ein merklicher Anstieg ab, wenngleich weniger stark als in vielen Nachbarländern. Insgesamt sind die Aussichten für ganz Europa aber alles andere als rosig.»

Realität: Die Hälfte der Länder weltweit verzeichnet schon jetzt zweistelligen Anstieg

Neben Deutschland verzeichnen die USA, China, Italien und Brasilien bisher noch ein anhaltend niedriges Insolvenzniveau. In den meisten Ländern ist die Trendwende allerdings bereits erfolgt, besonders in wichtigen europäischen Märkten wie Großbritannien, Frankreich, Spanien, den Niederlanden, Belgien und in der Schweiz.

«Steigende Insolvenzen sind in den meisten Ländern schon Realität,» sagt Maxime Lemerle, Chefanalyst für Insolvenzen bei Allianz Trade. «Auf die wichtigsten europäischen Märkte entfallen zwei Drittel des Anstiegs. Weltweit verzeichneten die Hälfte der von Allianz Trade analysierten Länder im ersten Halbjahr 2022 einen zweistelligen Anstieg der Unternehmensinsolvenzen.»

Keine rosigen Aussichten für Europa – besonders stark von Insolvenzen betroffen

Europa könnte in den nächsten zwei Jahren besonders stark vom Anstieg der Insolvenzen betroffen sein: Allianz Trade erwartet ein deutliches Plus in Frankreich (plus 46 Prozent im Jahr 2022; plus 29 Prozent im Jahr 2023), Großbritannien (plus 51 Prozent; plus 10 Prozent), Deutschland (plus 5 Prozent; plus 17 Prozent) und Italien (minus 6 Prozent; plus 36 Prozent). Schon 2022 dürfte Europa das Niveau von vor der Pandemie bei den Unternehmensinsolvenzen übertreffen (plus 5 Prozent).

Auch China dürfte im Jahr 2023 rund 15 Prozent mehr Insolvenzen verzeichnen. In den USA rechnet Allianz Trade mit einem Anstieg der Unternehmensinsolvenzen um 38 Prozent im kommenden Jahr als Folge der strafferen geld- und finanzpolitischen Bedingungen.

Uneinheitliche Entwicklung: Vor allem kleinere Unternehmen rutschen oft in die Pleite

Diese Normalisierung der Unternehmensinsolvenzen ist allerdings sehr uneinheitlich, sowohl bei den Branchen als auch vor allem bei der Größe der Unternehmen, die in die Pleite rutschen. So geht der weltweite Anstieg vor allem auf Insolvenzen kleinerer Unternehmen zurück. Große globale Pleiten, wie wir sie trotz niedriger Fallzahlen 2021 und besonders 2020 gesehen haben, sind aktuell nicht die Treiber hinter dem weltweiten Anstieg. Insgesamt zählten die Experten von Allianz Trade weltweit 182 Großpleiten in den ersten drei Quartalen 2022, verglichen mit 187 und 332 im gleichen Zeitraum 2021 und 2020.

Es könnte eng werden: Steigende Energiekosten, Zinsen und Löhne fressen Gewinne auf

Allerdings machen mit den hohen Energiekosten, steigenden Zinsen und Löhnen gleich drei Rentabilitätsschocks den Unternehmen zu schaffen. Die Margen sind bereits unter Druck; besonders die Energiepreise dürften Gewinne von nichtfinanziellen Unternehmen vielerorts auffressen, da sie aufgrund der sinkenden Nachfrage nicht alle Kosten an die Kunden weitergeben können.

«Deutsche Unternehmen können nach unseren Berechnungen durchschnittlich einen Preisanstieg von bis zu 50 Prozent kompensieren, wenn es ihnen gelingt, etwa ein Viertel der Energiepreiserhöhung an ihre Kunden weiterzugeben. Alles darüber geht auf Kosten der Gewinne,» sagt Bogaerts.

Darüber hinaus droht in der ersten Hälfte des Jahres 2023 ein Zinsschock, der im Doppelpack mit steigenden Löhnen vielen Unternehmen kräftig zusetzen dürfte. Durch die hohen Kassenbestände können viele Unternehmen dies im laufenden Jahr noch abfedern, 2023 wird es dann für viele enger.

Insgesamt sind durch den Anstieg der Finanzierungs- und Lohnkosten vor dem Hintergrund eines geringen Wirtschaftswachstums das Baugewerbe, das Transportwesen, die Telekommunikation, der Maschinen- und Anlagenbau, der Einzelhandel, die Haushaltsgeräteindustrie, die Elektronikindustrie, die Automobilindustrie und die Textilindustrie am stärksten gefährdet.

Ausblick volatil – Energiekrise und Rezession könnten sich verschärfen

Sollte sich die Energiekrise verschärfen und so eine stärkere Rezession in Europa auslösen als bisher erwartet, werden vermutlich zusätzliche staatliche Hilfen ins Spiel kommen, um eine Insolvenzwelle einzudämmen. Denn ohne zusätzliche Maßnahmen würden in diesem Szenario Unternehmensinsolvenzen in der Europäischen Union (EU) um 25 Prozent im Jahr 2023 ansteigen. Das wäre der höchste jährliche Anstieg seit 2009 (Foto: pixabay.com).

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