Detmold. (agf / eb) Über mehr Klimaschutz durch weniger Stickstoff auf den Getreidefeldern referierte während der 74. Bäckerei-Technologie-Tagung der Arbeitsgemeinschaft Getreideforschung (AGF) Ministerialrat Dr. Wolfgang Zornbach vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL). Speziell ging es in Detmold um die Chancen und Möglichkeiten in der Wertschöpfungskette «Backweizen». Um Fortschritte bei laufenden Projekten. Um Sichtweisen, die sich hier und da noch ändern könnten. Um Leistungen, die Bäckereien jeder Größenordnung von ihren Lieferanten ruhig mal einfordern sollten.
Oder anders herum: Bedingt durch die konventionelle Versorgung mit Backweizen – den mit Abstand meistgenutzten Rohstoff in der Backstube – gehören Bäckereien nach wie vor zu den Umweltsündern. Vielen Bäckereien ist gar nicht bewusst, wie viele Treibhausgas-Emissionen sie mit ihrem Brot- und Brötchengetreide verursachen. Dieses Bewusstsein gilt es zu schärfen. Es gilt auch den Dialog zu stärken, mit dem sich Bäckereien selbstbewusst an ihre Lieferanten wenden und Rohstoffe einfordern, die weniger bedenklich sind hinsichtlich ihrer Wirkung auf Klima und Umwelt. Das Totschlagargument «Preis» sticht jedenfalls nicht mehr – siehe «Populationsweizen ist reif für die Praxis» aus Feder der BLE. Im Rahmen des BÖL-Forschungsprojekts «BakWert» hatten Fachleute der Universität Kassel, des Kompetenzzentrums Ökolandbau Baden-Württemberg (LTZ) und des Berufsverbands «Die Freien Bäcker» im Verbund mit zehn Praxisbetrieben den Anbau und die Verarbeitung von Populationsweizen drei Jahre lang erprobt und sind zu Ergebnissen gelangt, die mit jedem Sorten-Weizen mithalten können. Diesen Populationsweizen und/oder Erzeugnisse daraus sollten Bäckereien von ihren Lieferanten einfordern – damit die ihrerseits Druck auf die Agrarindustrie machen und sich der Kreis langsam im Positiven zu schließen beginnt.
Was sich so einfach liest, wird in der Praxis von so vielen eingeübten Qualitätsparametern und anderen Normen flankiert, dass es noch einigen guten Zuredens bedarf, bis «Populationsweizen» genauso flüssig über die Lippen kommt wie «Sorten-Weizen». Ein Kraftakt, bei dem sich die Agrarindustrie möglicherweise teils neu erfinden muss, Bäckereien und deren Kunden aber nur gewinnen können. Ein Minenfeld, auf dem sich ein Ministerialrat mit aller gebotenen Vorsicht bewegt und seinen Vortrag entsprechend anlegt.
(Foto: Arbeitsgemeinschaft Getreideforschung)
Mehr Klimaschutz durch weniger Stickstoff – Chancen und Möglichkeiten
Im Wesentlichen referierte Ministerialrat Dr. Wolfgang Zornbach über eine anzustrebende Erweiterung der Qualitätsparameter in der Backweizenbewertung, die zu einem reduzierten Einsatz von Stickstoff-Düngemitteln führen könnten, womit sich der Ausstoß von besonders schädlichen Lachgas-Emissionen senken ließe. Das ist gar nicht so einfach, wenn man bedenkt, dass Brotgetreide selbst noch zu einem für die menschliche Ernährung ungünstigen Zeitpunkt gespritzt wird, nur damit es besser abtrocknet für die Ernte und eine nahezu standardisierte Proteinzusammensetzung aufweist für die weitere Verarbeitung. Entscheidungen, die in der Pflanzenzüchtung (genetisch identischer Sorten-Weizen) und auf dem Acker (Düngemittel) getroffen werden, wirken sich zweifellos auf die Verarbeitung in der Backstube aus. Deshalb liegt es im Interesse eines jeden Backbetriebs, sich mit dem Thema zu befassen und an der Diskussion teilzunehmen im Ringen um Rohstoffe, die für das Klima und die Umwelt unbedenklich sind.
Im Klimaschutzprogramm 2023 der Bundesregierung, das am 04. Oktober 2023 vom Bundeskabinett beschlossen wurde, ist folgende Maßnahme enthalten: «Prüfung der Anpassung von Qualitätsparametern zur Backweizenbewertung und der Etablierung bei der aufnehmenden Hand zur Einsparung von Stickstoff-Qualitätsgaben bei der Backweizenerzeugung».
Ein Teil der landwirtschaftlichen Treibhausgas(THG)-Emissionen stammt aus der Stickstoffdüngung. Beim Backweizen ist diese Düngung, neben der grundsätzlichen Ertragssicherung, vor allem wichtig, damit ein Korn mit hohen Rohproteingehalten heranreift. Ein hoher Rohproteingehalt wird aktuell oft mit guten Backeigenschaften gleichgesetzt. Mühlen und Bäckereien müssen sich darauf verlassen können, wissen aber, dass gute Backeigenschaften nicht allein durch den Rohproteingehalt bestimmt werden.
Mit der Erweiterung der Qualitätskriterien würde die Möglichkeit eröffnet, dass über den Rohproteingehalt hinaus weitere Eigenschaften für die Beurteilung von Weizenpartien herangezogen werden könnten. Eine Vielzahl der heutigen Weizensorten zeigen sehr gute Backeigenschaften durch eine vorteilhafte Proteinzusammensetzung auch bei niedrigeren Proteingehalten. Landwirtinnen und Landwirte wären nicht mehr allein daran gebunden, ihre Düngung auf hohe Rohproteingehalte im Weizenkorn auszurichten, um für die spätere Anwendung in der Backbranche einen geeigneten Rohstoff (Weizen respektive Mehl mit hoher Backqualität) produzieren zu können. Damit wäre die gesamte Wertschöpfungskette «Backweizen» in der Lage, einen positiven Beitrag zum Klimaschutz und zur Umsetzung des Klimaschutzprogramms 2023 zu leisten, indem als Ergebnis stickstoffhaltige Düngemittel eingespart werden können. Insgesamt könnte so ein Beitrag zum Klimaschutz geleistet werden, ohne die Qualität des Weizens in Frage zu stellen. Darüber hinaus können auch Beiträge zum Umwelt-, Boden- und Grundwasserschutz sowie Beiträge zur Verbesserung der Biodiversität geleistet werden.
Mit Hilfe weiterentwickelter Qualitätskriterien für die Bewertung der Backqualität von Backweizen, die sich nicht allein an einem hohen Rohproteingehalt orientieren, ließen sich in Abhängigkeit von der Situation vor Ort Stickstoff-Düngemittel einsparen. Das würde zu geringeren Lachgas-Emissionen aus den Böden führen und damit zu einer weiteren Reduktion der Treibhausgasemissionen des Sektor Landwirtschaft, der bis 2030 nach dem Klimaschutzgesetz nur noch 56 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente jährlich emittieren darf. Lachgas hat ein zirka 300-fach höheres Treibhausgaspotenzial als Kohlendioxid.
Der Weg hin zu solchen weiter entwickelten Qualitätskriterien ist lang und kann nur von der gesamten Wertschöpfungskette von der Züchtung über die Weizenproduktion, den Handel, die Mühlen und die Bäcker gemeinsam beschritten werden. Ministerialrat Dr. Wolfgang Zornbach berichtete in Detmold von den ersten Schritten im Rahmen dieses gemeinsamen Vorgehens.
Zum Referenten: Ministerialrat Dr. Wolfgang Zornbach, Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL), Leiter des Referates 521 – Klimaschutz, Klimaanpassung, Wasser. 1979-1986 Universität Hamburg – Biologie (Angewandte Botanik, Mikrobiologie, Entomologie). 1986-1990 Promotion an der Universität Hamburg, externe Arbeit an der Biologischen Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft im Bereich Pflanzenschutz im Gartenbau. 1990-heute BMEL, 1990-2016 Referat Pflanzenschutz (Referent), Seit 2017 Referat Nachhaltigkeit und Klimaschutz, Klimafolgen (Referent), Seit 2019 Leiter des Referats Nachhaltigkeit und Klimaschutz, Klimafolgen, Seit 2022 Leiter des Referats Klimaschutz, Klimaanpassung, Wasser (Titelfoto: pixabay.com).
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