Detmold. (agf) Aller guten Dinge sind drei und so kam die Bio-Tagung der Arbeitsgemeinschaft Getreideforschung (AGF) in Kooperation mit der «Bio-Welt» bei ihrer dritten Ausrichtung Mitte November schon ziemlich etabliert daher. «Wachstum» ist oft ein problematisches Kriterium, doch wenn steigende Teilnehmerzahlen der Nachhaltigkeit dienen, wie in diesem Fall, dann kann man sich ungetrübt darüber freuen. Dass der Absatz von lebendigem, ökologisch produziertem Getreide steigt, ist in jedem Fall ein Beitrag für eine gesündere Umwelt und diese Tagung ist ein wichtiger Baustein für die Vernetzung einer Branche, die das möglich macht.
Biolandwirtschaft kann flexibler auf den Klimawandel eingehen
Der erste Beitrag des ersten Tagungstags, der am frühen Nachmittag, direkt nach der «70. Tagung für Bäckerei- Technologie», am selben Ort stattfand, nahm sich sogleich des Themas «Biogetreide im Zeichen des Klimawandels» an. Peter Stallberger, Geschäftsführer der Goodmills Österreich GmbH, referierte über die Vor- und Nachteile eines wärmeren, trockeneren, aber unter Umständen auch feuchteren Klimas. Wärmeres Klima bringt neue Schädlinge, zum Beispiel die Getreidewanze, die in Mitteleuropa bisher selten war. Außerdem findet die Abreifung der verschiedenen Getreide komprimierter und ziemlich gleichzeitig statt, was nicht nur die Lagerstätten vor Herausforderungen stellt. Die Trockenheit führt zudem im Extremfall zur Notreife. Generell, lautet Stallbergers Fazit, «ist die Biolandwirtschaft aber besser für den Klimawandel aufgestellt» als das konventionelle Pendant.
Betrachtung der Bio-Ökonomie in der Region D-A-CH
Die Juristin Dr. Karola Krell fragte «Wie BIO ist die Schweiz?» und informierte über viele legale Aspekte der Bio-Zertifizierung, Probleme mit Rückstandsgrenzwerten und ganz allgemein über die BIO-Situation bei den Eidgenossen. Die Entwicklung der österreichischen Bio-Getreidehandelsbranche bis 2030 prognostizierte wiederum Lisa-Maria Schrittwieser, Geschäftsführerin der MKL Schrittwieser GmbH. In dem «immer-noch-Bio-Vorreiterland» sieht sie immer noch eine Tendenz zu weiterem Wachstum und hält in Österreich einen Bio-Anteil von 60 Prozent für möglich, obwohl Demeter von einer rückläufigen Entwicklung ausgeht.
Der bundesweit größte Bio-Händler ist Aldi
Klaus-Jürgen Hollstein referierte darüber «Wo der Biomarkt wächst: Rohwaren, Produkte und Verbraucherwünsche». So konnte er zum Beispiel verkünden: «Im ersten Halbjahr 2019 ist der deutsche Biomarkt kräftig mit über 15 Prozent gewachsen» und auch die Öko-Fläche ist gewachsen. Allerdings ist die Entwicklung beim Umsatz von frischem Brot, mit einem Prozent Wachstum, «deprimierend». Einige der von Hollstein genannten Zahlen und Fakten waren durchaus irritierend bis überraschend: «Aldi ist nach Zahlen der größte Bio-Händler». Oder: «Hafermilch ist der Gewinner des letzten Jahres. Hafermilch ist ständig ausverkauft.» Oder: «Der Naturkosthandel ist ein ewiges Zahlenärgernis» was seine allgemeine Frustration über die lückenhafte Datenlage in der Biobranche ausdrückte.
Ziemlich eigenwillig unterwegs, doch was zählt ist der Erfolg
Ein Highlight der Tagung war das Gespräch zwischen Michael Köser, Bäcker und Inhaber der «Køniglichen Backstube» in Berlin-Rixdorf, und Kati Gausmann (Bildende Künstlerin), am Beginn des zweiten Tages. Die beiden erklärten, wie eine Bio-Bäckerei, mit nur einem Bäcker, Kunst, viel Phantasie, Charme und Liebe für den Kiez, erfolgreich arbeiten kann, auch wenn der Backtag erst um sieben Uhr, vor Ort, beginnt. Die gemütliche Ladenbackstube mit Kaffee-Ausschank und kleiner Kunst-Ausstellung in Berlin-Neukölln dürfte einen Besuch wert sein, ist man mal wieder in der Stadt.
Der Proteinwert sinkt, die Backqualität steigt
Die frohe Botschaft der Tagung konnte Dr. Ludger Linnemann von der Justus-Liebig-Universität, Gießen, überbringen: «Höhere Backqualitäten mit weniger Protein»! Seine hoch-interessanten Forschungsergebnisse können hier nur bruchstückhaft und unvollständig wiedergegeben werden: «Waren früher hohe Proteingehalte (etwa 14 Prozent) zum Erreichen von 660 Milliliter Brotvolumen (sehr hohe Mehlqualität) im Standardbacktest RMT notwendig, so wird heute deutlich weniger Protein für das gleiche Ergebnis benötigt. Durch den Einfluss gestiegener Proteinqualitäten haben die früher gültigen Qualitätsstandards ihre allgemeine Gültigkeit verloren.» Dr. Linnemann schlägt vor, den RMT Backtest (Rapid Mix Test) durch den unter seiner Mitwirkung entwickelten «Optimierten Backtest» (OBT) zu ersetzen. Dieser Backtest «wurde an Bio-Weizen und konventionellen Weizensorten erfolgreich getestet und in Zusammenarbeit mit Bäckern validiert (BLE-Projekt, EIP-Projekt, ENU-Weizen)». Der OBT kann als Basis für weitere Verbesserungen und Anpassungen von Standard-Backtests verwendet werden.» Und: «Eines wissen wir, der Zusammenhang zwischen Rohprotein und Brotvolumen ist so gering, dass es eigentlich gar nicht gerechtfertigt ist, dass man daraus die Qualität irgendwie ableitet. Vor allem wenn man die Sorten gar nicht kennt. Also wenn ich einen Futterweizen wie den «Elixer», der erstaunlicherweise relativ gut backt, wenn ich den irgendwo reinbringe das werden die in der Annahme gar nicht merken, wenn der elf Prozent hat.» Grundsätzlich plädiert er dafür, die Sorten als Kriterium für Backqualität «mehr in den Fokus» zu nehmen, zumal, nach der, in der Vergangenheit nur langsam angelaufenen, Züchtung von Bio-Sorten, diese «deutlich besser sind, als die vor 20 Jahren».
Vermutlich ist in diesem Jahr Dr. Linnemanns langjähriges Plädoyer, zumindest bei einer wichtigen Behörde, auf fruchtbaren Boden gestoßen: Das Bundessortenamt will den Rohproteingehalt von Weizensorten zwar künftig noch nennen, doch nicht mehr zur Qualitätseinstufung heranziehen.
Reflexion über Verfahren zur Qualitäts- und Herkunftsbestimmung
Über die, seit Rudolf Steiner bekannte und leicht esoterisch anmutende, «Biokristallisation», als bildgebendes Verfahren zur Erkennung von biologischer Qualität, referierten Stephan Schneller, als auch Monika Lepold in zwei separaten Vorträgen. Die in den letzten Jahren entwickelten technischen Verfahren der Lebensmittelanalyse sind weit vorangeschritten und lassen zum Beispiel nicht nur minimalste Pestizidrückstände erkennen, sondern auch die «Authentizität» der Herkunft bestimmen. Trotzdem wäre ein weiteres Verfahren, das «Bio oder nicht» mit einem einzigen Test klären könnte, vor allem für die Bio-Branche ein willkommenes Werkzeug. Doch bisher scheint eine Validierung seiner Reproduzierbarkeit weiterhin auszustehen, obwohl verschiedene Universitäten, wie zum Beispiel die Uni Kassel, zu diesem Verfahren forschen.
Aktuelle Themen unter verschiedenen Gesichtspunkten
Weitere Themen waren: «Ackerbohnen – eine Bioproteinpflanze gewinnt an Bedeutung» (Thomas Lepold, Oberursel); «Firewall Risikoanalyse für ein sichere Produktqualität» (Peter Vögler, Hamburg); «Sind die Absatzmärkte von ökologischen Produkten noch im Einklang mit den stark wachsenden Produktionsmengen und den deutlich volatilen Preisentwicklungen?» (Berthold Dreher). Als letzter Redner berichtete Matthias Kollmann, von der Bohlsener Mühle über «40 Jahre Biomüllerei – Herausforderungen und Chancen». Auch bei der 3. Detmolder Biotagung war das Themenspektrum zu umfangreich, um allen interessanten und wichtigen Vorträgen ausreichend an dieser Stelle Platz geben zu können.
Mehr als nur Verpflegung, nämlich Rahmenprogramm war ein vorzügliches Abendbüffet von «Carl Catering» aus Horn-Bad Meinberg, dem einzigen Bioland-zertifizierten Caterer Nordrhein-Westfalens. Dazu konnten die Anwesenden eine Auswahl exzellenter deutscher Bio-Weine genießen. Wer mochte, für den hatte AGF-Hauptgeschäftsführer Tobias Schuhmacher im Anschluss daran noch ein weiteres Highlight parat: Eine kleine informelle Vorschau auf die «1. Whisk(e)y OWL Messe» Anfang 2021 präsentierte eine große Auswahl erlesener Spirituosen zum Genuss (Fotos: AGF).
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