Hamburg. (usp) Seien wir ehrlich: Bäckerei duftet heute nicht mehr so «typisch» wie zu jener Zeit, als wir den Bäckerberuf lernten. Das ist schon eine ganze Weile her und die Verschiebungen, die zu einschneidenden geschmacklichen Veränderungen führten, kennen wir aus dem Effeff: Resultate aus Gesetzen und Verordnungen, optimierte Zutaten, weiter entwickelte Technik, technologisch wirksame Umstellungen in den Phasen der Produktion bis hin zum «Finishing», effizientes Zeitmanagement. Die Bäckerei von heute ist auf Effizienz getrimmt. Als ginge es immer noch darum, Massen an hungrigen Mäulern zu stopfen und danach möglichst früh die Backstube abzuschließen. Eines der kostbarsten Güter unserer Zeit ist schließlich die Zeit. Ein Teufelskreis!
Es geht auch anders. Beispiel: Sebastian Däuwel gehört zu jenen Leuten, die sich nicht damit abfinden mochten, dass ihr Brot heute nicht mehr so schmeckt «wie früher». Er setzte sich seit 2012 intensiv mit den Grundlagen des Brotbackens auseinander und absolvierte 2014 ein Praktikum in einer französischen Bäckerei. Ohne Gesellenbrief, geschweige denn Meisterbrief setzte er 2015 in seiner Heimatstadt Speyer einen Popup-Store durch. In dem verkaufte der Hobbybäcker 160 Brote in sage und schreibe 18 Minuten. Das ging nicht nur einen Tag so, sondern jeden Tag der einen Woche, die man ihn hatte walten lassen. Damit war es endgültig um den jungen Betriebswirt mit gutbezahltem Job bei einem Ludwigshafener Energieversorger geschehen. Als BrotPurist tauschte er sichere Aufstiegschancen gegen das Abenteuer Selbständigkeit und führt seither eine gutgehende, weithin bekannte Bäckerei in Speyer. Gerade soll er dabei sein, seinen Meistertitel nachzuholen – und sich im Zuge dessen über die Oberflächlichkeit der Wissensvermittlung im Bäckerhandwerk wundern.
Themenwechsel: Dietmar Brandes aus Behringersmühle hat ganz andere Sorgen. Denn um den 4-Täler-Beck aus der Fränkischen Schweiz dreht sich nicht gerade die Welt. Einerseits muss der Bäckermeister und studierte Lebensmittel-Technologe zusehen, wie er Leute ins Geschäft lotst. Das klappt nicht so gut. Tatsächlich musste die Traditionsbäckerei von 1933 in den letzten Jahren nach und nach die drei Filialen im Umfeld schließen. Andererseits unternimmt Brandes alles, um mit seinen Erzeugnissen potentiellen Kunden möglichst weit entgegen zu kommen. Mit Erfolg: Seit 2010 betreibt der 4-Täler-Beck einen Brotversand. Rund 200 Pakete mit einem Durchschnittsgewicht von je zehn Kilogramm versendet er pro Monat bundesweit und darüber hinaus. Von der Lokalpresse darauf angesprochen, ob sich das denn lohne, erwidert er nur kurz und bündig: «Sonst würden wir das nicht machen». Die Zimmervermietung an Sommerfrischler rundet die Existenzgrundlage der Bäckerei Brandes 4-Täler-Beck ab.
Szenenwechsel: Einen eigenen Onlineshop betreibt auch die Max Rischart’s Backhaus KG. Sie wissen schon: Die bekannte Bäckerei aus München von 1883 mit 15 Filialen und etwa acht Millionen Kunden jährlich. Die Filiale am Marienplatz soll bundesweit das am meisten besuchte Bäckerfachgeschäft sein. Seit 2009 leitet Magnus Müller-Rischart in fünfter Generation die Geschicke des Unternehmens und hat sich schon früh mit dem Vertrieb über das Internet beschäftigt. Genaue Zahlen kennt man nicht, doch wird der Onlineshop wohl «sehr gut angenommen», ist zu hören. Seit August 2016 baut Rischart an einer weiteren Vertriebslinie über Amazon Prime und mischt seit Anfang November 2017 ebenso bei Amazon Fresh mit. «Der Kunde kommt nicht mehr nur ins Geschäft, sondern das Geschäft muss auch zum Kunden kommen», bestätigt Magnus Müller-Rischart aus München die Beobachtungen von Dietmar Brandes aus Oberfranken.
Gute Vorbereitung ist alles: Was für Rischart ein willkommenes Zusatzgeschäft ist, ist für den fränkischen 4-Täler-Beck ein unverzichtbarer Baustein zur Sicherung der unternehmerischen Existenz. Auch der BrotPurist Sebastian Däuwel aus Speyer pflegt seinen Onlineshop. Sein Fokus wird wieder ein ganz anderer sein. Allen drei gemeinsam ist, dass sich die Investitionskosten im monetären Sinn in Grenzen halten. Dafür muss man viel Zeit investieren, sich in die Tücken von Versand und Widerrufsrecht einfuchsen, Bestellungen absolut sorgfältig und zuverlässig abarbeiten.
Gemeinsam stark, aber ohne Amazon: Nicht jedem Erzeuger liegt die Zusammenarbeit mit dem Platzhirschen Amazon und seinen rund 300.000 Artikeln im Sortiment. Immer wieder gerät der Konzern wegen seiner Arbeitsbedingungen in die Kritik und mancher Hersteller sucht nach alternativen Plattformen zwecks Vermarktung seiner Erzeugnisse. In diesem Sinn hatte sich im Mai das Kölner EHI Retail Institute auf die Spur der gerade entstehenden regionalen Webkaufhäuser begeben und fand «Lokaso» in der Region Siegen. Das will als gemeinsame Online-Plattform den regionalen Handel stärken und sich gegen die Konkurrenz von Amazon + Co. behaupten. Die Betreibergesellschaft übernimmt demnach die Warenwirtschaft, die Logistik und das Marketing für die Händler. Die Software, die das Webkaufhaus Siegen wuppt, stünde auch für andere Regionen zur Verfügung, heißt es seitens der Entwickler. So oder so liegt es für Erzeuger auf der Hand, alle Vertriebswege zu nutzen, die sich individuell kombinieren lassen (Foto: pixabay.com).
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