Mittwoch, 4. Oktober 2023
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Walmart + Google, oder: Was von dieser Woche hängenbleibt

Hamburg. (usp) «Großbäckerei vor dem Ausbau» und «Filialist erneut in Nöten» lassen wir in dieser Woche mal weg. Sie mögen das für ignorant halten. Andererseits guckt backnetz:eu gemeinsam mit Ihnen immer gerne in die Sterne. Grundlegende Weichenstellungen sind uns dabei am liebsten, weil man so schön spekulieren kann, ob und was aus den hoffnungsvollen Anfängen wohl wird. In dieser Woche haben gleich drei Nachrichten das Potenzial, Gewichte zu verschieben respektive überfällige Entwicklungen rasant zu beschleunigen.

  • Kamps testet Delivery Hero: Bundesweit gibt es rund 450 Kamps Bäckereien, die ihre handwerklich erzeugten Produkte an den Mann und die Frau bringen. Mit 450 Standorten verfügt das Unternehmen, mehrheitlich im Besitz der französischen Groupe Le Duff, über ausreichend «Gewicht», um den Konkurrenzkampf zwischen den Lieferdiensten weiter zu verschärfen und die Waagschale zugunsten der Delivery Hero Gruppe zu senken. Wie wir nachvollziehen können, gibt es auf dem bundesdeutschen Markt nur Platz für ganz wenige Lieferdienste – die schließlich irgendwie rentabel wirtschaften können müssen. Vielleicht lädt die jüngste Meldung aus Schwalmtal auch andere Filialisten ein, sich mit Blick auf effiziente digitale Vertriebswege so oder so zu äußern.
  • CSM Bakery Solutions und 3D Systems verkünden Vereinbarung: Lange genug hat es ja gedauert, bis sich ein Unternehmen aus der Lebensmittelbranche – noch dazu mit umfangreicher Erfahrung im Bäckerei- und Konditoreisektor – des Themas «3D-Druck» professionell annimmt. Selbst die oberste Chefin Marianne Kirkegaard im fernen Atlanta (USA) ist nun gespannt, welche Dynamik die Zusammenarbeit erzeugen kann. Originalton: «Unsere Vereinbarung mit 3D Systems hat das Potenzial, die Lebensmittelindustrie neu zu gestalten». Wobei wir die «Lebensmittelindustrie» für einen Übersetzungsfehler halten. Kirkegaard wird wahrscheinlich die gesamte Lebensmittelbranche meinen.
  • «Knaller der Woche» oder «Kampf der Giganten» oder was immer Sie wollen: Bekommen wir das zeitlich noch irgendwie hin, werden wir die Nachrichten «Walmart: announces partnership with Google» und «Google: Shop Walmart and more favourite stores, faster» gerne für Sie ins Deutsche übersetzen. Jedenfalls geht die Summe an Informationen in den original englischsprachigen Firmenmeldungen weit über das hinaus, was die Nachrichtenagentur AFP auf Deutsch zusammengefasst über die Ticker schickte. Um es vorwegzunehmen: Weder Walmart noch Google verloren auch nur ein Wort über den schärfsten Konkurrenten Amazon, der erst im Juno die Bio-Supermarktkette Whole Foods Market übernommen und damit die US-Lebensmittelbranche erschüttert hatte.

Der weltgrößte Einzelhandelskonzern und der weltgrößte Internetkonzern tun sich zusammen und greifen den weltgrößten Onlinehändler an. Man möchte hinter jedes Wort ein Ausrufezeichen setzen und man muss kein Prophet sein, um sich mögliche Kollateralschäden auch für den europäischen Markt vorzustellen. Jedenfalls dürften die Zeiten des friedlich dümpelnden Lebensmittelsegments im E-Commerce endgültig vorbei sein.

Auch wenn die Vereinbarung zwischen Google und Walmart zunächst nur für den US-amerikanischen Markt gilt, lädt Google doch ausdrücklich auch andere Retailer ein, es Walmart gleichzutun. Der Druck, den der klassische Lebensmittel- Einzelhandel bislang hauptsächlich aus Richtung Amazon verspürte, kommt jetzt aus mehreren Richtungen gleichzeitig und wird entsprechend verstärkt.

Das Blatt kann sich schnell wenden und das liebgewordene Argument, nach dem die meisten Verbraucher lieber im Fachgeschäft einkaufen würden und für den LEH die Lieferung von Lebensmitteln durchgängig kaum machbar sei, wird nicht mehr lange zu halten sein.

Retail-Experten gehen längst davon aus, dass sich beide Modelle aufeinander zu bewegen und die Grenzen zwischen klassischen und digitalen Vertriebswegen auch im Lebensmittelhandel zunehmend durchlässig werden. Die Zahl der Filialen könnte abnehmen, Filial-Formate könnten mit weniger Quadratmetern auskommen und die verbleibenden Standorte könnten Zusatzfunktionen speziell für den Online-Handel übernehmen. Wir dürfen gespannt sein.

Last but not least: Vielleicht erinnert sich noch jemand an die Anfänge des Internets und die ersten Suchmaschinen. Die hatten oft potente Geldgeber im Rücken und doch hat sich das Start-up aus Mountain View, Kalifornien durchgesetzt – weil Google es immer verstanden hat, die Wünsche seiner Nutzer besser zu verstehen als die Konkurrenz. Als Bäckereibetrieb, der sich früher oder später mit digitalen Vertriebswegen auseinandersetzen muss, ist man vermutlich gut beraten, «Google Express» früh genug zu studieren und zu eruieren, welcher Nutzen sich aus einer möglichen Zusammenarbeit ziehen lässt (Grafik: pixabay.com).

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