Montag, 29. April 2024
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Forschung rät eindringlich von industrieller Landwirtschaft ab

Kopenhagen (DK) | Stuttgart (DE). (uhcp / uh) Mischung von Viehhaltung und Ackerbau, Integration von Blühstreifen und Bäumen, Wasser- und Bodenschutz und vieles mehr: Eine umfangreiche globale Studie unter Leitung der Universität Kopenhagen (UHCP) in Dänemark und der Universität Hohenheim in Stuttgart hat weltweit die Auswirkungen einer diversifizierten Landwirtschaft untersucht. Das Ergebnis ist eindeutig: Die positiven Effekte nehmen mit jeder Maßnahme zu, während negative Auswirkungen kaum zu finden sind. Veröffentlicht wurden die Ergebnisse jetzt in der aktuellen Ausgabe des Journals Science – DOI: https://www.science.org/doi/10.1126/science.adj1914 – siehe auch «Major study reports that people and environment both benefit from diversified farming, while bottom lines also thrive», Department of Geosciences and Natural Resource Management, UHCP 2024.

Prof. Dr. Laura Vang Rasmussen von der Universität Kopenhagen und Prof. Dr. Ingo Grass von der Universität Hohenheim wirkten in den letzten vier Jahren als Bindeglied zwischen 58 Forschern auf fünf Kontinenten. An dieser Schnittstelle sammelten sie als Hauptautoren einer groß angelegten Agrarstudie Daten aus 24 Forschungsprojekten.

20240408-UHCP-UH-CLAIRE-KREMEN(Foto: Claire Kremen – University of British Columbia 2024)

Die harte Arbeit hat sich ausgezahlt. Ihr Forschungsartikel, der gerade in der renommierten Fachzeitschrift Science veröffentlicht wurde, enthält eine klare und fundierte Botschaft an die Landwirtschaft: «Lassen Sie Monokulturen und industrielles Denken hinter sich und diversifizieren Sie die Art und Weise, wie Sie Landwirtschaft betreiben – es zahlt sich aus», so das wissenschaftliche Duo.

«Unsere Ergebnisse aus dieser umfassenden Studie sind überraschend eindeutig. Während wir nur sehr wenige negative Folgen einer landwirtschaftlichen Diversifizierung feststellen konnten, gibt es viele bedeutende Vorteile. Dies gilt besonders, wenn zwei, drei oder mehr Maßnahmen kombiniert werden. Je mehr, desto besser, vor allem wenn es um die biologische Vielfalt und die Ernährungssicherheit geht», erklärt Prof. Dr. Rasmussen vom Fachbereich Geowissenschaften und Management natürlicher Ressourcen an der Universität Kopenhagen.

Die größten positiven Effekte fanden die Forschenden bei der Ernährungssicherheit, dicht gefolgt von der biologischen Vielfalt. Darüber hinaus verbesserten sich auch soziale Aspekte, wie zum Beispiel das Wohlbefinden, deutlich. Unter den zahlreichen Strategien hatten die Diversifizierung der Tierhaltung und die Erhaltung des Bodens die stärksten positiven Folgen.

Deutlich verbesserte Ernährungssicherheit bei gleichbleibenden Erträgen

Nach Angaben der Forschenden beschäftigten sich frühere Studien entweder mit den sozioökonomischen oder den ökologischen Folgen der landwirtschaftlichen Diversifizierung. Diese Studie untersucht nun erstmals die Auswirkungen in allen Bereichen und kommt zu überraschend positiven Ergebnissen.

«Der landwirtschaftlichen Diversifizierung wurde vorgeworfen, dass sie vielleicht gut für die biologische Vielfalt ist, aber auch einige negative Aspekte hat – vor allem im Hinblick darauf, dass keine ausreichend hohen Erträge erzielt werden können. Tatsächlich sehen wir aber, dass eine diversifizierte Landwirtschaft keine Ertragsminderung mit sich bringt – auch nicht, wenn wir Daten aus der europäischen Landwirtschaft mit ihren großen Flächen einbeziehen», sagt Prof. Dr. Grass vom Fachgebiet Ökologie Tropischer Agrarsysteme an der Universität Hohenheim.

Vielmehr zeigten die Zahlen, dass sowohl bei kleinen Betrieben als auch bei Betrieben mit großer Anbaufläche eine mehr diversifizierte Landwirtschaft die Ernährungssicherheit deutlich steigern kann. Dies könnte, so die Forschenden, auf eine Reihe von Faktoren zurückzuführen sein.

«Ein Beispiel sind Obstbäume, die in Maisfeldern in Malawi gepflanzt werden und den Bauernfamilien helfen können, sich besser zu ernähren und ihre Ernährungssicherheit zu erhöhen. Einerseits, weil sie die Früchte selbst essen, andererseits aber auch, weil die Bäume ein zusätzliches Einkommen generieren, wenn die Früchte auf dem Markt verkauft werden – ein Einkommen, das den Kleinbauern Kaufkraft für andere Lebensmittel verschafft», sagt Prof. Dr. Rasmussen.

Riesige Datenmengen machen Win-Win-Situationen deutlich

Alle 58 Autoren der Studie haben sich aktiv an deren Gestaltung beteiligt, um eine robuste und glaubwürdige Verflechtung der vielen Datensätze zu erreichen, die über die ganze Welt verteilt sind – von der Maisproduktion in Malawi über Gummibäume in Indonesien bis hin zum Anbau von Winterweizen in Deutschland und zur silvopastoralen Rinderhaltung in Kolumbien, bei der Nutztierhaltung und die Kultivierung von Bäumen oder Sträuchern kombiniert werden.

«Die Studie vereint viele verschiedene Situationen aus den vielen Datensätzen, die wir verwendet haben. In Malawi verfügen wir über Daten zur Ernährungssicherheit, die sich zum Beispiel in der Anzahl der Monate ausdrücken, in denen die Kleinbauern hungern und nicht genügend Nahrungsmittel zur Verfügung haben. Solche Kennzahlen verwenden wir zum Beispiel nicht für große europäische Landwirtschaftsbetriebe, für die wir stattdessen Ertragsdaten haben, wie die Erträge an Winterweizen in Deutschland», erklärt Prof. Dr. Rasmussen.

«Aber wenn wir alle Datensätze betrachten, zeigen unsere Ergebnisse, dass die Anwendung von mehr Strategien zur Diversifizierung sowohl die biologische Vielfalt als auch die Ernährungssicherheit verbessert und keine negativen Folgen für die Erträge hat», weiß die Expertin.

Die Forschenden untersuchten auch, welche Kombinationen von Strategien der Diversifizierung zu «Win-Win»-Situationen führen: Strategien, die sich positiv auf die biologische Vielfalt auswirken, verbessern auch die Ernährungssicherheit. Auch für die biologische Vielfalt und das Wohlergehen der Menschen konnten sie einen Zusammenhang feststellen.

Effekte von Naturflächen in der Umgebung

Bei der Frage, ob auch die umgebende Landschaft durch Ergebnisse der Strategien zur Diversifizierung beeinflusst wird, betrachteten die Forschenden in der Studie drei verschiedene Landschaftstypen: stark kultivierte Gebiete mit sehr wenig Natur, Gebiete, in denen die Landschaft um die landwirtschaftlichen Flächen durch relativ unberührte Natur gekennzeichnet ist, sowie eine dazwischenliegende «einfache» Kategorie mit gemischten Landschaften.

Bislang galt die These, dass eine diversifizierte Landwirtschaft nur in diesen dazwischenliegenden oder «einfachen» Landschaften die biologische Vielfalt sehr stark fördert. In der Tat konnten die Forschenden dort auch die größten Effekte verzeichnen. Tatsächlich zeigt die Studie aber, dass Diversifizierungsstrategien in vielen verschiedenen Kontexten sinnvoll sind. Auch in stärker naturbelassenen Landschaften lassen sich positive Effekte für die biologische Vielfalt erzielen.

«Es ist eine einfache Botschaft, die wir an die verschiedenen Arten von Betrieben weitergeben können – ob es sich nun um kleine Betriebe in Südamerika oder Afrika oder um die fortschrittliche europäische Landwirtschaft handelt. Es gibt viele positive Effekte, die durch die Einführung von verschiedenen Strategien erzielt werden können – und sehr wenig zu befürchten. Es ist sehr gut, dass so viele verschiedene Maßnahmen ergriffen werden können und dass im Allgemeinen ein positiver Einfluss auf die biologische Vielfalt mit Wohlbefinden und Ernährungssicherheit Hand in Hand zu gehen scheint», sagt Prof. Dr. Grass.

Dies wird von Prof. Dr. Zia Mehrabi von der University of Colorado Boulder und Prof. Dr. Claire Kremen von der University of British Columbia bestätigt, die als verantwortliche Forschende an der Studie beteiligt waren: «Dies ist ein wichtiges Ergebnis, das einige der weltweit führenden Agrarforschenden zusammengebracht hat. Sie haben Daten zusammengefasst, die in der Politik benötigt werden, um die notwendigen Veränderungen in der Landwirtschaft voranzutreiben», sagt Prof. Dr. Mehrabi.

Prof. Dr. Kremen von der University of British Columbia bestätigt: «Die Studie beschäftigt sich mit den realen Bedingungen in der Landwirtschaft in vielen verschiedenen Regionen und Kontexten weltweit. Die eindeutig positiven Ergebnisse dieser Strategien zur Diversifizierung legen nahe, dass Regierungen und Unternehmen mehr Anreize für Landwirte schaffen sollten, solche Strategien anzuwenden. Denn sie helfen tatsächlich und fördern gleichzeitig die landwirtschaftliche Nachhaltigkeit und die Gesundheit des Planeten», betont Claire Kremen abschließend.


Hintergrund: Die wenigen negativen Folgen können vorübergehend sein

In der Studie konnten die Forschenden nur sehr wenige messbare negative Folgen aus den Bemühungen um Diversifizierung feststellen. Eine davon betraf Maßnahmen zur Steigerung der strukturellen Vielfalt auf landwirtschaftlichen Betrieben, wie zum Beispiel das Anpflanzen von Hecken und Bäumen. Diese Aktivitäten können landwirtschaftliche Betriebe speziell im Hinblick auf das Wohlbefinden – oder die Lebensqualität – beeinträchtigen, doch handelt es sich dabei möglicherweise um eine Übergangszeit

«Wir können nicht mit Sicherheit sagen, was der Grund dafür ist. Aber es könnte an dem erhöhten Arbeitsaufwand liegen, der für das Pflanzen und die Pflege von Hecken und Bäumen auf landwirtschaftlichen Flächen erforderlich ist. Dies könnte sich negativ auf das Wohlbefinden auswirken. So dauert es lange, bis sich Bäume für landwirtschaftliche Betriebe auszahlen. Schon das Pflanzen der Bäume fordert einen sofortigen Tribut, und es dauert Jahre bis die Früchte geerntet werden können», sagt Prof. Dr. Rasmussen.

Einzigartiges Studiendesign mit 58 Forschenden weltweit
Mit 58 Forschern rund um den Globus, die alle an der Konzeption der Studie und der Verflechtung von 24 Datensätzen aus anderen Studien beteiligt waren – die insgesamt 2.655 landwirtschaftliche Betriebe auf fünf Kontinenten repräsentieren – ist dieses Forschungsprojekt einzigartig.

«Soweit ich weiß, wurde dies noch nie in einem solchen Umfang durchgeführt. Es war harte Arbeit gemeinsame Indikatoren für diese Berechnungen zu finden, und zwar in so vielen verschiedenen Studien und mit so unterschiedlichen Daten, dass wir sie integrieren konnten. Aber ich denke, dass dieser Ansatz die künftige Forschung inspirieren kann. Dass die enorme Datenmenge, die wir verarbeitet haben, so klare Ergebnisse liefert, ist ziemlich bahnbrechend», sagt Prof. Dr. Rasmussen.

Fakten: Drei Gruppen von umgebenden Landschaften
In der Studie wurde untersucht, ob das Ausmaß an natürlichem Lebensraum in der umgebenden Landschaft die Auswirkungen der Diversifizierung mildert:

  • Stark simplifizierte Landschaften: <5 Prozent naturnaher Lebensraum in einer Landschaft
  • Einfache Landschaften: 5-20 Prozent naturnahe Lebensräume in einer Landschaft
  • Komplexe Landschaften: >20 Prozent naturnaher Lebensraum in einer Landschaft

Fakten: Strategien und Praktiken zur Diversifizierung der Landwirtschaft
Im Forschungsartikel wurden Daten über die Auswirkungen von mehr als 20 verschiedenen Arten von Diversifizierungspraktiken innerhalb von fünf großen Diversifizierungskategorien gesammelt:

  • Zeitliche Diversifizierung des Anbaus: Rotation, Fruchtfolge mit mehr als 2 Kulturen, Deckfruchtanbau
  • Nicht-Kultur-Diversifizierung: Hecken, Windschutzstreifen, Blühstreifen, Käferbänke, Futterstreifen, sonstige Diversifizierung außerhalb von Kulturen
  • Erhaltung des Bodens: Ausbringung von Dung, Kompost, Gründüngung, Biokohle, Inokulation mit Mikroorganismen, Einarbeitung von Rückständen, Mulchen, nährstoffmobilisierende Pflanzen, andere nützliche Bodenverbesserungsmethoden
  • Diversifizierung der Tierhaltung: Anzahl der Nutztierarten, z. B. Rinder, Pferde, Schweine, Ziegen, Schafe, Hühner, Esel, Fische und Honigbienen
  • Wasserschutz: Terrassierung, Kontinuität der Bedeckung/Wurzeln, Dämme, Konturanbau, andere nützliche Wasserschutzverfahren

Beteiligte am Forschungsprojekt:

  • Prof. Dr. Laura Vang Rasmussen von der Universität Kopenhagen, Dänemark, und Prof. Dr. Ingo Grass von der Universität Hohenheim, Stuttgart, sind gemeinsame Erstautoren der Studie.
  • Prof. Dr. Zia Mehrabi von der University of Colorado Boulder und Prof. Dr. Claire Kremen von der University of British Columbia sind gemeinsame Leiter der Studie. Sie halfen bei der Zusammenstellung des internationalen Forschungsteams im von der NSF finanzierten National Socio-Environmental Synthesis Center in den Vereinigten Staaten.
  • Alle Beteiligten siehe https://www.science.org/doi/10.1126/science.adj1914 (TitelFoto: pixabay.com).