Bremerhaven. (eb) Kollegialität ist, wenn man sich trotzdem hilft. Die Wiener Holzofenbäckerei Gragger + Cie GmbH schlitterte Ende 2022 nicht deshalb in die Insolvenz, weil sie vor lauter Öffentlichkeitsarbeit das Backen vernachlässigt hätte. Die etwas andere (Bio-) Bäckerei von Helmut Gragger kam in Bedrängnis, weil sie nicht (!) unter Einbeziehung eines GAUs – größten anzunehmenden Unfalls – vorausschaute, sondern die möglichen Auswirkungen der Pandemie schlicht unterschätzte. So soll das Unternehmen zum Beispiel nicht die Möglichkeiten genutzt haben, die auch in Österreich das Kurzarbeitergeld bot und bietet. In der Folge musste Gragger die Zahlungsunfähigkeit anmelden und eröffnete das Handelsgericht Wien Ende Dezember 2022 das Sanierungsverfahren ohne Eigenverwaltung.
Glück im Unglück: In der beim Handelsgericht Wien abgehaltenen Versammlung von Mai 2023 erteilten die Gläubiger einem Sanierungsplan mit einer Gesamtquote von 20 Prozent, zahlbar binnen zweier Jahre ab Annahme des Sanierungsplans, mehrheitlich die Zustimmung. Eine erste Teilquote von fünf Prozent lag da schon auf einem Massekonto des Insolvenzverwalters und konnte rasch an die Gläubiger verteilt werden. Die restliche Quote von 15 Prozent muss die Bäckerei in vier Ratenzahlungen an die Gläubiger auszahlen. Wird die vereinbarte Gesamtquote von 20 Prozent in den nächsten zwei Jahren erwirtschaftet und abgetragen, ist der Sanierungsplan erfüllt und das Unternehmen von seinen Altlasten komplett befreit.
Es fällt auf, dass – nach Angaben von KSV1870 – die Bäckerei nur eine «mehrheitliche» Zustimmung für ihr Sanierungskonzept erhielt. Keine «einmütige» Zustimmung und auch keine mit «überwältigender Mehrheit». Das mag daran liegen, dass (auch) die Gragger + Cie GmbH schon während der Pandemie von einem Corona-Hilfspaket profitieren durfte, mit dem die Stadt Wien neue Wege ging. Die «Stolz auf Wien» Beteiligungs GmbH, ein Tochterunternehmen der Wien Holding, soll insgesamt um die tausend Arbeitsplätze gerettet haben. An der Gragger + Cie GmbH soll sich die Gesellschaft bereits 2020 beteiligt haben, was die Bäckerei indes nicht vor der Zahlungsunfähigkeit rettete – siehe oben.
Wie auch immer: Aus Schaden wird man hoffentlich klug und irgendwie muss sich das als «Nobelbäckerei» geltende Unternehmen soweit gefangen haben, dass die Mehrheit der Gläubiger ihm jetzt eine nüchterne Geschäftsführung nach unternehmerischen Grundsätzen zutraut. Der Fortschritt müsste sich zudem verfestigt haben. Denn unter keinen anderen Umständen würde die Wiener Ankerbrot Gruppe jetzt eine Kooperation mit der Bio-Holzofenbäckerei Gragger + Cie GmbH eingehen.
Zur Zusammenarbeit, die seit neuestem fünf Gragger-Erzeugnisse über 14 ausgewählte Anker-Filialen vertreibt, sagt Anker-Geschäftsführer Walter Karger: «Dass wir nun Brot und Gebäck aus dem Holzofen, das eine sehr ursprüngliche Art des Backens in den Mittelpunkt stellt, ebenfalls zur Verfügung stellen können, ist für uns und unsere Kund:innen in Hinblick auf die Sortimentsbreite ein spannender Aspekt.» Helmut Gragger ergänzt: «Wir freuen uns, dass wir unser Brot und Gebäck über das Anker-Filialnetz jetzt einem größeren Personenkreis anbieten können.»
Beide sind sich einig, dass in veränderten Zeiten neue (Vertriebs-) Wege gefragt sind. Die Zusammenarbeit, die es in dieser Form in der österreichischen Branche noch nicht gab, setzt auf ein kundenorientiertes, ergänzendes und kollegiales Miteinander. Kunden dürften das sympathisch finden, hoffentlich zugreifen, und vielleicht lädt die Kooperation nicht nur in Österreich zusätzlich zum Nachahmen ein.
Über die Ankerbrot-Gruppe: Die Großbäckerei betreibt über 100 Filialen mit Schwerpunkt auf den Großraum Wien und Niederösterreich. Damit ist die Gruppe der größte Bäckereifilialist des Alpenlands. Neben den Filialen werden die Backwaren dem Lebensmittelhandel und der Gastronomie sowie Hotellerie angeboten. Ankerbrot steht für mehr als 130 Jahre regionale Backtradition. Die Erzeugnisse werden nur mit österreichischem Mehl gebacken. Auch bei allen anderen Zutaten steht die österreichische Herkunft im Vordergrund. Ausgebildete Berufsleute geben ihr Wissen um Brot- und Backkultur stets an die nächste Generation weiter. Unterstützt von modernster Technik setzt Ankerbrot nach wie vor auf viel Erfahrung und traditionelle Handarbeit.
Über die Holzofenbäckerei Gragger: Markante Kruste, saftiger Kern. Seit 2010 betreibt Bäckermeister Helmut Gragger in der Spiegelgasse im ersten Wiener Gemeindebezirk seine Holzofen-Backstube mit angeschlossenem Geschäft. Zwei weitere Standorte befinden sich am Vorgartenmarkt und in der Wiedner Hauptstraße. Insgesamt beschäftigt die Holzofenbäckerei Gragger derzeit 25 Mitarbeitende. Sein Rezept für das beste Brot und Gebäck: Alles bio, alles so wie früher und natürlich aus dem von ihm selbst konstruierte Holzofen. Die Schamottsteine geben ruhige Hitze ab, die für eine schnelle Kruste sorgt und die Krume weich und saftig macht. Ausgehend von einer Zusammenarbeit mit Sarah Wiener ist Helmut Gragger auch in Berlin engagiert. Zusammen mit Christoph Chorherr ist er zudem Gründer eines gemeinnützigen Bäckerei-Projekts (Foto: Ankerbrot).
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