Berlin. (dnr) Bei einer Abstimmung im EU-Ausschuss für Umwelt und Gesundheit des Europäischen Parlaments vom 24. Januar 2024 hat sich eine Mehrheit der Abgeordneten für den Vorschlag zur Deregulierung der Neuen Gentechnik (Neue Genomische Techniken, NGT) ausgesprochen. Für die Empfehlung des Ausschusses stimmten 47 Abgeordnete: alle MdEPs der Europäischen Volkspartei (EVP) und der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR), die Mehrheit der Liberalen (Renew) und der Rechtspopulisten (ID) sowie vier Abgeordnete der Sozialdemokraten (S+D). 31 der Abgeordneten stimmten gegen das Vorhaben: alle Abgeordneten der Grünen (Grünen/EFA) und der Linken (GUE/NGL) sowie die Mehrheit der Sozialdemokraten und jeweils zwei Abgeordnete der Renew-Fraktion und der Fraktionslosen. Es gab zudem vier Enthaltungen, berichtet der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier und Umweltschutzorganisationen (DNR) mit Sitz in Berlin.
Aktuell will die Mehrheit keinen Unterschied mehr machen
Die Mehrheit stimmte dem Vorschlag zu, zwei Kategorien für NGT-Pflanzen zu schaffen. Gentechnisch veränderte Organismen (GVO) der ersten Kategorie (NGT 1-Pflanzen) werden somit gleichwertig zu nicht-manipulierten Pflanzen angesehen und damit von den GVO-Vorschriften ausgenommen. Für Pflanzen der zweiten Kategorie (NGT 2-Pflanzen) sollen die Vorschriften gelten, aber angepasst werden. Im Gegensatz zum Vorschlag der EVP-Berichterstatterin Jessica Polfjärd haben sich die MdEPs dagegen ausgesprochen, neue gentechnische Verfahren auch im Ökolandbau zuzulassen. Auch eine Kennzeichnung des Saatguts soll stattfinden. Allerdings soll es für NGT 1-Pflanzen keine verpflichtende Kennzeichnung für Verbraucher geben. Stattdessen fordern die Abgeordneten von der EU-Kommission einen Bericht darüber, wie sich die Wahrnehmung der NGTs durch Verbraucher und Erzeuger innerhalb von sieben Jahren entwickelt – kaum nachzuvollziehen, wenn die Rückverfolgbarkeit unmöglich und Kennzeichnung nicht vorgesehen ist.
Kritik: Patente? Risikoprüfung? Koexistenz? Kennzeichnung? Wahlfreiheit?
Martin Häusling, der zuständige Verhandlungsführer für die Grünen/EFA, wies zudem darauf hin, dass in der Position des Ausschusses die Patentfrage keinesfalls gelöst sei. Denn auch wenn sich in der Empfehlung gegen eine Patentierung ausgesprochen wird, liege eine «Änderung des Europäischen Patentabkommens (…) außerhalb des Einflusses der EU.» Für Häusling ist das Abstimmungsergebnis insgesamt eine «mittlere Katastrophe für Umwelt und Verbraucherschutz.» Auch Pia Voelker, Gentechnik-Expertin beim Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND), äußerte sich entsetzt. Mit dem Ergebnis stünden Verbraucher-Rechte, der Umweltschutz sowie eine gentechnikfreie Landwirtschaft «mehr denn je auf der Kippe.» Es sei erschreckend, dass die Abgeordneten des Umweltausschusses der Kommission bei ihren Plänen zur Gentechnik-Deregulierung gefolgt seien und die MdEPs sogar «darüber hinausgehende Aufweichungen» vorgeschlagen hätten. Bioland-Vizepräsidentin Sabine Kabath kritisiert, dass sich die Mehrheit der Abgeordneten gegen verpflichtende Risikoprüfung, Koexistenzregeln und Kennzeichnungspflicht aussprachen. Auch wenn Bioland begrüßt, dass sich die Ausschussmitglieder für ein Gentechnik-Verbot im Ökolandbau ausgesprochen haben, seien wesentliche Probleme, wie die Patentfrage und Koexistenzregeln, unbeantwortet geblieben. Sie fordert die Europaabgeordneten daher auf, die für Anfang Februar geplante Abstimmung im EU-Parlament zu verschieben.
Abstimmung im EU-Parlament Anfang Februar
Alle Blicke richten sich nun auf das Plenum des Europaparlaments, das voraussichtlich am 07. Februar zur NGT-Deregulierung abstimmt. Umwelt-, Verbraucher- und Landwirtschaftsorganisationen und die Biobranche lehnen den Vorschlag ab. Seit Monaten (DNR-Mitteilung 2023/07/05 – EU-News 2023/10/05 – EU-News 2023/12/06) fordern sie die EU-Gesetzgeber mit Kampagnen, Petitionen und Briefen dazu auf, auch die Neue Gentechnik strikt zu regulieren und das Gentechnikrecht nicht aufzuweichen – siehe Verbändepapier von 139 Organisationen. Im Vordergrund stehen dabei die Wahrung des europäischen Vorsorgeprinzips, des Rechts auf gentechnikfreie Erzeugung, sowie die Wahlfreiheit für Verbraucher und Landwirtschaft. Auch immer mehr Unternehmen appellieren an die europäischen Institutionen. Zuletzt haben sich über 200 Unternehmen der Lebensmittelbranche in einem offenen Brief an EVP-Fraktionschef Manfred Weber (CSU) gewandt. Doch der erteilte dem Dialogwunsch der Unternehmen noch vor der Abstimmung im Umweltausschuss eine Absage, schließt der Deutsche Naturschutzring seinen Bericht.
Weiterführende Informationen
- Medienmitteilung des EU-Umweltausschusses – ENVI (2024/01/24)
- Namentliches Abstimmungsergebnis zum Vorgang (2024/01/24) (Foto: pixabay.com)
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