Köln. (rg / eb) Nicht nur eine gesellschaftlich erwünschte Antwort, sondern einen faktenbasierten Denkanstoß sollte das Projekt «Wahre Kosten» geben, das der Discounter «Penny», eine Marke der Kölner Rewe-Gruppe, im Sommer 2023 mit der Uni Greifswald und TH Nürnberg umsetzte und akribisch auswertete. Die Frage zwischen den Zeilen: Wie lassen sich Ernährungsfragen in die gesellschaftliche Mitte tragen? Während diese zweifellos «angekommen» ist, suchen die Akteure für eine weitere Frage noch die Antwort: Wie lassen sich Verständnis und Handeln soweit in Einklang bringen, dass Konsumenten die Umweltfolgekosten für Erzeugnisse nicht nur zur Kenntnis nehmen, sondern auch akzeptieren?
Um es vorweg zu nehmen: Verbraucher müssten erst eine Lernkurve durchlaufen dürfen. Neben den Verkaufspreisen wären Wahre-Kosten-Preise anzugeben, die über die tatsächlichen Umweltfolgekosten informieren. Anhand der Wahre-Kosten-Preise könnten Verbraucher besser entscheiden lernen, ob sie sich mit den billigen Erdbeeren aus Spanien im Winter wirklich einen Gefallen tun oder doch lieber zu den heimischen Äpfeln greifen. Ob die Weintrauben aus Südafrika eine Option sein können, wenn es Tafeltrauben auch aus Italien gibt? Ob man jedem «Superfood» vom anderen Ende der Welt hinterherlaufen muss, oder nicht doch lieber einen soliden Ernährungskurs besucht und anschließend Omas Rezeptbuch hervorholt. Ob man zu den unschlagbar günstigen Erzeugnissen der konventionellen Landwirtschaft greift oder in weiser Voraussicht nicht doch lieber zu Bioprodukten? Natürlich wird sich das Einkaufsverhalten nicht von heute auf morgen ändern. Doch würde ein Erkenntnisprozess in Gang gesetzt, der allmählich ein umweltverträglicheres Handeln begünstigt – präziser und nachhaltiger, als dies jeder konfrontative Ansatz durch den Gesetzgeber je könnte.
Zurück zum Penny-Projekt «Wahre Kosten» und seiner Auswertung: Der Discounter verkaufte vom 31. Juli bis zum 05. August 2023 in allen bundesweit 2.150 Märkten neun ausgewählte Produkte zu den von der Universität Greifswald und der Technischen Hochschule Nürnberg berechneten Umweltfolgekosten. Die so genannten «Wahren Kosten» wurden gesondert ausgewiesen auf den aktuellen Verkaufspreis aufgeschlagen. Zusätzlich wurden insgesamt 2.255 Teilnehmende vor und nach der Kampagne befragt. Die Mehreinnahmen von 375.000 Euro spendete Penny dem Projekt «Zukunftsbauer». Schon 2020 hatte Penny «Wahre Kosten» im Rahmen der Eröffnung seines «Erlebnismarkts Nachhaltigkei» in Berlin erstmals in der breiten Öffentlichkeit thematisiert. Ende Januar 2024 legte die Wissenschaft im Rahmen der Berliner IGW 2024 eine erste Bilanz zum Penny-Projekt «Wahre Kosten 2023» vor.
Zentrale Projekt-Ziele erreicht: «Ich freue mich, dass es uns mit unserer Aktionswoche gelungen ist, einerseits breit auf das Thema «Wahre Kosten» aufmerksam zu machen und andererseits zusammen mit der TH Nürnberg und der Uni Greifswald zu einer wissenschaftlichen Grundlage für die Diskussion beizutragen,» sagt Penny-COO Stefan Görgens. Jeder Dritte erachtet das Penny-Projekt als geeignet, um eine politische Debatte zum Thema in Gang zu bringen. «Der Erfolg der Kampagne bestätigt uns darin, unser breites Engagement in Sachen Nachhaltigkeit konsequent fortzuführen.»
Faktenbasierte Datenbasis ermöglicht neue Qualität der Diskussion: Eine solche Studie zu Preisanpassungen wie beschrieben auf einer vergleichbar breiten, faktenbasierten Datenbasis hat es bisher noch nicht gegeben. Das ermöglicht eine neue Qualität der Diskussion über Umweltfolgekosten, auch mit Blick darauf, ob der Lebensmittelhandel der geeignete Ort ist, das Thema aufzugreifen. Denn nach der Kampagnenwoche sind zwar die Kundenschätzungen der Wahren Kosten gestiegen, sowohl bei Produkten, die vorher unterschätzt, als auch bei denen die überschätzt wurden. Dies zeigt, dass die Befragten realisiert haben, dass die Wahren Kosten höher sind als ursprünglich angenommen. Doch es findet unverändert keine Differenzierung zwischen Produkten statt; hier muss wohl noch weiter gesellschaftsfähige und niederschwellige Bildungsarbeit geleistet werden, um zu zeigen, welche Produkte nachhaltiger sind als andere. Wir denken, dass Wahre Kosten Preisschilder zu diesem Verständnis beitragen können», sagt Prof. Dr. Tobias Gaugler, Professor für Betriebs- und Finanzwirtschaft an der TH Nürnberg.
Lücke zwischen Einstellung und Verhalten: «Generell gilt: Je größer der Aufschlag der Umweltfolgekosten ausfällt, desto stärker sinkt die Nachfrage der Kunden. 85 Prozent gaben an, dass der Hauptgrund die Produkte nicht zu kaufen, der Preis war. Dabei unterscheiden die Kunden ein wenig zwischen Produkten aus ökologischer oder konventioneller Erzeugung: sie zeigen zwar beide einen Abwärtstrend, wohingegen der Absatzrückgang bei Bioprodukten aber durchwegs etwas geringer ausfällt. Als Motivation, die Produkte trotz hohem «Wahre Kosten»-Preis zu kaufen, nennen Käufer der Kampagnenprodukte, dass sie diese immer kauften (93 Prozent), aber auch ihr Interesse an Nachhaltigkeit (86 Prozent). Zudem überzeugte die Befragten die Verbindung zum Zukunftsbauern (83 Prozent). Einzig das vegane Produkt, mit einem geringen Preisaufschlag von nur fünf Prozent, wurde während der Woche verstärkt nachgefragt. Die Unterstützung von Maßnahmen, Wahre Kosten politisch zu implementieren (über Informationen, Preiszuschläge oder Steuern) fiel über die Woche (-19, -27, -22 Prozent) als Konsumenten durch die Kampagne tatsächlich mit den Wahren Kosten konfrontiert waren,» sagt Dr. Amelie Michalke, Nachhaltigkeitsforscherin an der Uni Greifswald. Hier spiele eine Rolle, dass Kunden durch die anhaltend hohen Preise in nahezu allen Lebensbereichen akut sensibilisiert sind.
Hintergrund der Kampagnenwoche 2023: Jede Form von Produktion und Konsum hat Auswirkungen auf die Umwelt. Diese derzeit noch unsichtbaren Umweltfolgekosten – so genannte Wahre Kosten – entstehen entlang der Lieferketten, spiegeln sich aber noch nicht oder nur anteilig im Verkaufspreis von Produkten und Dienstleitungen wider. Ob, wann, wie, wo und von wem diese ausgeglichen werden, ist nicht zu erkennen. In die Wahren Kosten wurden von den Forschern für ausgewählte konventionell und ökologisch erzeugte Eigenmarken-Produkte sowie ein veganes Lebensmittel die über die Lieferketten entstandenen Auswirkungen der Faktoren Boden, Klima, Wasser und Gesundheit auf den Verkaufspreis mit eingerechnet.
375.000 Euro für das Projekt Zukunftsbauer: Die Mehreinnahmen von 325.000 Euro durch die Kampagne – also die Differenz zwischen dem gewohnten Verkaufspreis und dem Wahre-Kosten-Preis – spendete der Discounter zuzüglich einer Eigenleistung von 50.000 Euro dem Zukunftsbauer. Dabei handelt es sich um ein Gemeinschaftsprojekt von Penny, der Molkerei Berchtesgadener Land, Landwirten und Kunden mit dem Ziel, einen Beitrag zum Klimaschutz und zum Erhalt der familiengeführten Bauernhöfe im Alpenraum zu leisten. Dafür verzichtet der Discounter insgesamt bei allen Milchprodukten von der Molkerei Berchtesgadener Land auf einen Teil seiner Verkaufsspanne, und die Molkerei verdoppelt die Summe. Daraus speist sich ein Fördertopf von jährlich gut 350.000 Euro, aus dem Landwirte der Genossenschaftsmolkerei, die ihre Höfe energetisch optimieren wollen, eine Förderung von bis zu 10.000 Euro erhalten. Der Zukunftsbauer wurde im Oktober 2021 ins Leben gerufen.
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